OLG München 11. April 2018
7 U 2300/17
ErbbauRG § 9a Abs. 1

Unbilligkeit des Anspruchs auf Erhöhung des Erbbauzinses

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 20.7.2018
OLG München, Urt. v. 11.4.2018 – 7 U 2300/17

ErbbauRG § 9a Abs. 1
Unbilligkeit des Anspruchs auf Erhöhung des Erbbauzinses

Eine Erhöhung des Erbbauzinses ist in der Regel als unbillig zu werten, wenn sie über die seit
Vertragsabschluss eingetretene Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgeht.
Als Bemessungsgrundlage dienen insoweit die Entwicklung der Lebenshaltungskosten bzw. der
Verbraucherpreise und – mit gleicher Gewichtung – die Entwicklung der Bruttoverdienste der
Arbeiter in der Industrie sowie die Bruttoverdienste der Angestellten in Industrie und Handel.
Abzustellen ist dabei auf die jeweiligen Indices des Statistischen Bundesamts.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist begründet, da der Kläger keinen Anspruch auf eine Erhöhung des jährlichen
Erbbauzinses über die momentan vereinbarte Höhe von 409,04 € jährlich hinaus hat.

I.
1. Zwar ist die Klage entgegen der Meinung des Beklagten nicht schon wegen entgegenstehender
Rechtskraft unzulässig. Dies wäre nur der Fall, wenn einer der Streitgegenstände der früheren Prozesse
zwischen den Parteien nunmehr erneut zur Entscheidung stünde (Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Auflage,
Köln 2016, Rdnr. 30 zu Vor 322 ZPO). So verhält es sich aber nicht, da Streitgegenstand der Vorprozesse
die dort jeweils vom Kläger geltend gemachten Erhöhungsverlangen waren, während im vorliegenden
Prozess nur das Erhöhungsverlangen des Klägers vom 13.05.2016 für den Zeitraum ab 01.02.2013
streitgegenständlich ist, das - wie sich allein schon aus der zeitlichen Abfolge ergibt - nicht Gegenstand der
Vorprozesse war. Dass die mit den Vorprozessen befassten Gericht im Gegensatz zum Landgericht die
Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht gesehen haben, ist für die Frage einer etwaigen
entgegenstehenden Rechtskraft ohne Bedeutung, da nur der Entscheidungssatz in Rechtskraft erwächst,
nicht aber die auf dem Weg zur Entscheidung zu klärenden Rechtsfragen (vgl. Vollkommer, aaO, Rdnr. 31
ff.).

2. Die Klage ist jedoch unbegründet, wobei dahingestellt bleiben kann, ob nach der Anpassungsklausel in
Ziffer II. Abs. 5 und 6 des Erbbauvertrages der Erbbauzins weiterhin durch einen Sachverständigen als
Dritten oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf der Grundlage der gemittelten
Steigerungsraten des Verbraucherpreisindexes und des Verdienstindexes (so das Landgericht) zu ermitteln
ist (von wem auch immer).

Denn jedenfalls ist die geltend gemachte Erhöhung auf nunmehr 1568,73 € jährlich ab 01.01.2013 gemäß §
9 a Abs. 1 S. 2 ErbbauRG, der, obwohl erst nach Abschluss des Erbbauvertrages 1951 in Kraft getreten,
gemäß § 35 Abs. 1 ErbbauRG auf Ziffer II. Abs. 5 und 6 des Erbbauvertrages anwendbar ist, unbillig. Die
Erhöhung geht nämlich „über die seit Vertragsabschluss eingetretene Änderung der allgemeinen
wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus. Als Bemessungsgrundlage dienen insoweit „die Entwicklung der
Lebenshaltungskosten bzw-. der Verbraucherpreise und - mit gleicher Gewichtung - die Entwicklung der
Bruttoverdienste der Arbeiter in der Industrie sowie die Bruttoverdienste der Angestellten in Industrie und
Handel“ (BGH, Urteil vom 18.11.2011, Az. V ZR 31/11, Rdnr. 18). Abzustellen ist dabei auf die jeweiligen
Indices des Statistischen Bundesamts (BGH, Urteil vom 27.05.1981, V ZR 20/80, Rdnr. 18).
Als zeitlichem Bezugspunkt ist - anders als vom Landgericht angenommen - jedoch nicht auf 1966, als der
Erbbauzins zum letzten Mal nach dem Verfahren der Ziffer II. Abs. 5 und 6 des Erbbauvertrages erhöht
wurde, abzustellen, sondern auf den 22.09.1951, als der „Vertragsschluss“ iSd. § 9 a Abs. 1 S. 2 ErbbauRG
erfolgte. Denn nach der Rechtsprechung des BGH ist als Vertragsschluss iSd. § 9 a Abs. 1 S. 2 ErbbauRG
die Vereinbarung zu verstehen, die die Anpassungsklausel enthält (BGH, Urteil vom 23.09.1983, V ZR
147/82, Rdnr. 29).

Diese Anpassungsklausel wurde in der Folge auch nicht durch eine andere Anpassungsklausel ersetzt,
deren Vereinbarung dann den zeitlich relevanten Bezugspunkt bilden würde (vgl. BGH, aaO, Rdnr. 30). Die
Änderung des Erbbauzinses im Jahr 1966 über die Steigerungsrate von Verbraucherpreis- und
Verdienstindex hinaus, führte nämlich nicht dazu, dass sich der zeitliche Bezugspunkt ändert, da die
Anpassungsklausel als solche nicht geändert wurde. Hierin liegt auch der Unterschied zu dem dem Urteil
des BGH vom 27.05.1981 (Az. V ZR 20/80, Rdnrn. 22 und 23) zugrunde liegenden Sachverhalt. Denn dort
war zusammen mit einer vorangegangenen Erhöhung eine Änderung der Anpassungsklausel durch die
dortigen Vertragsparteien erfolgt. Da die bloße Vereinbarung über die Erhöhung des Erbbauzinses ohne
gleichzeitige Änderung der Anpassungsklausel also nicht zu einer Veränderung des Bezugszeitpunkts führt
(BGH, aaO), ergibt sich eine solche Verschiebung auch nicht aus der Tatsache, dass es aufgrund der
Feststellungen des damaligen Sachverständigen im Jahr 1966 zu einer Erhöhung des Erbbauzinses um
mehr als das Elffache kam. Im Übrigen folgt schon daraus, dass die Parteien sich 1966 penibel an das in
Ziffer II. Abs. 5 und 6 des Erbbauvertrages festgelegte Procedere gehalten haben, dass sie die
Anpassungsklausel gerade nicht ändern wollten.

Die Argumentation des Landgerichts, nach der Erhöhung des Erbbauzinses 1966, die über den gemittelten
Steigerungsraten des Lebenshaltungskosten- und des Verdienstindexes gelegen habe, habe die
Anpassungsklausel ihren Zweck nicht mehr erfüllen können und sei deshalb ab diesem Zeitpunkt durch
ergänzende Vertragsauslegung anzupassen gewesen, sodass als Bezugspunkt iSd. § 9 a Abs. 1 S. 2
ErbbauRG auf 1966 abzustellen sei, vermag nicht zu überzeugen. Denn es ist nicht ersichtlich, warum die
Klausel, die selbst keine Anpassungskriterien enthält, sondern nur die Bestimmung durch einen Dritten
vorsieht, durch die Erhöhung von 1966 abgeändert worden sein soll. Insoweit geht auch der Hinweis des
Landgerichts auf die Entscheidung des BGH vom 18.11.2011 (Az. V ZR 31/11) fehl. Dort war nämlich eine
weitere Anpassung des Erbbauzinses an die Steigerung der Indices infolge eines in der Anpassungsklausel
enthaltenen Höchstbetrages in Höhe von 10% des Grundstückswertes nicht mehr möglich (BGH, aaO,
Rdnrn. 1 und 2). Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.

Auch die Vereinbarung der Parteien des Erbbauvertrages vom 26.07.1978 bewirkte mangels gleichzeitiger
Änderung der Anpassungsklausel keine Veränderung des Bezugszeitpunkts für die Kontrollberechnung nach
§ 9 a Abs. 1 S. 2 ErbbauRG (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 18.10.2004, Az. 15 U 1830/04 laut
Anl. K 16). Aus der Tatsache, dass die Parteien bei dieser Abänderung das in Ziffer II. Abs. 5 und 6 des
Erbbauvertrages stipulierte Verfahren nicht eingehalten haben, lässt sich allerdings noch nicht darauf
schließen, dass sie zusammen mit der Erhöhung gleichzeitig konkludent die Anpassungsklausel abändern
wollten. Für einen derartigen übereinstimmenden Willen der Partien zur Vertragsänderung fehlen nämlich
weitergehende Anhaltspunkte.

Jedwede Erhöhung ist daher durch § 9 a Abs. 1 S. 2 ErbbauRG gedeckelt, wobei auf die Entwicklung der
Indices seit September 1951 abzustellen ist (so schon OLG München, Beschluss vom 18.10.2004, Az. 15 U
1830/04).

Unstreitig liegt die gemittelte Steigerungsrate von Verbraucherpreis- und Verdienstindex im Zeitraum von
September 1951 bis 01.08.2011 bei 1010,37% (vgl. Klageschrift S. 10, Bl. 10 d.A., Berufungsbegründung S.
5, Bl. 77 d.A.), sodass bei einem jährlichen Ausgangserbbauzins von 50,00 € (entspricht 25,56 €) der
Deckelungsbetrag zum 01.01.2011 bei 258,30 € jährlich liegt (25,56 € x 1010,37%).

Da der Kläger jedoch bereits seit der einvernehmlichen Änderung vom 26.07.1978 409,04 € bezahlt, ist die
Deckelungsgrenze bereits überschritten, sodass, solange dies noch der Fall ist, eine weitere Erhöhung
gegen den Willen des Beklagten nicht in Betracht kommt.

Dieses Ergebnis entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, da das Interesse des Klägers dadurch
ausreichend geschützt ist, dass durch die Heranziehung der gemittelten Indices zur Berechnung des
Deckelungsbetrages sowohl dem Kaufkraftschwund als auch der Lohnentwicklung Rechnung getragen wird.
Der Kläger steht damit im Verhältnis wirtschaftlich nicht schlechter als sein Rechtsvorgänger im Jahr 1951
bei Vertragsschluss. Auf die seit 1951 eingetretenen Änderungen der Grundstückswertverhältnisse, die im
Raum München gerichtsbekannt zu einer weit über der gemittelten Steigerungsrate von Verbraucherpreisund
Verdienstindex liegenden Erhöhung der Grundstückspreise und dadurch auch der Mieten und Pachten
geführt haben, darf nach der ausdrücklichen Regelung des § 9a Abs. 1 S. 3 ErbbauRG, wonach Änderungen
der Grundstückswertverhältnisse bei der Billigkeitsprüfung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben haben,
nicht abgestellt werden, da ein Fall des § 9a Abs. 1 S. 4 ErbbauRG auch nach dem Vortrag des Klägers
nicht vorliegt. Sinn und Zweck der Regelung des § 9a ErbbauRG ist nämlich gerade zu vermeiden, dass
durch das zeitweise ungesunde Ansteigen der Bodenwerte über die allgemeinen Lebenshaltungskosten
hinaus der soziale Charakter zu Wohnzwecken dienender Erbbaurechte gefährdet wird (vgl. BT-Drs. 7/118,
S. 5). Dementsprechend wollte der Gesetzgeber auch mittels der Übergangsregelung des § 35 ErbbauRG
eine möglichst weitgehende Rückwirkung des § 9a ErbbauRG erreichen (vgl. Heinemann in Münchener
Kommentar zum BGB, 7. Auflage, München 2017, Rdnr. 1 zu § 35 ErbbauRG). Damit ist unerheblich, dass
der Kläger bei Neuabschluss eines Erbbauvertrages heute einen wesentlich höheren Erbbauzins erzielen
könnte.

Nach alledem besteht kein Erhöhungsanspruch des Klägers und war die Klage daher abzuweisen und
dementsprechend das landgerichtliche Urteil, soweit es der Klage stattgab, aufzuheben.

Eine Schriftsatzfrist war dem Kläger nicht zu gewähren, da der Senat in der mündlichen Verhandlung keine
Hinweise erteilt hat. Es fanden vielmehr lediglich eine Einführung in den Sach- und Streitstand sowie
Vergleichsverhandlungen statt. Der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 27.03.2018 enthält weder neues
rechtliches noch tatsächliches Vorbringen, sodass auch insoweit keine Schriftsatzfrist zu gewähren war.

II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. S. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die
Umstände des Einzelfalles.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

11.04.2018

Aktenzeichen:

7 U 2300/17

Rechtsgebiete:

Erbbaurecht

Normen in Titel:

ErbbauRG § 9a Abs. 1