BGH 29. Juni 2022
IV ZR 110/21
BGB § 2314 Abs. 1; EuErbVO Art. 35; AdoptG Art. 12 § 2 Abs. 2

Nichtanwendung englischen Erbrechts wegen Verstoß gegen deutschen ordre public

letzte Aktualisierung: 25.8.2022
BGH, Urt. v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21

BGB § 2314 Abs. 1; EuErbVO Art. 35; AdoptG Art. 12 § 2 Abs. 2
Nichtanwendung englischen Erbrechts wegen Verstoß gegen deutschen ordre public

Die Anwendung des gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gewählten englischen Erbrechts verstößt
jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu
führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger
Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung
unter anderem in ZEV 2021, 698 veröffentlicht ist, steht dem Kläger gegen
die Beklagte ein Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch gemäß § 2314
Abs. 1 BGB zu, da dieser als Adoptivsohn des Erblassers pflichtteilsberechtigt
gemäß §§ 2303 Abs. 1, 1754 Abs. 1, 1755 Abs. 1 BGB i.V.m.
Art. 12 § 2 Abs. 2, Abs. 3, § 3 Abs. 1 AdoptG und von der Erbfolge ausgeschlossen
sei. Einem Anspruch stehe nicht entgegen, dass der Erblasser
in dem Testament vom 13. März 2015 für die Rechtsfolge von Todes wegen
in sein gesamtes Vermögen das englische Recht als Teilrecht seines
Heimatstaates gewählt habe. Zwar habe es dem Erblasser gemäß Art. 22
Abs. 1, 83 Abs. 4 EuErbVO freigestanden, für die Rechtsnachfolge von
Todes wegen das Recht des Staates zu wählen, dem er im Zeitpunkt der
Rechtswahl angehörte. Die Anwendung englischen Rechts scheide aber
aus, weil sie im konkreten Fall mit dem deutschen ordre public offensichtlich
unvereinbar sei, Art. 35 EuErbVO. Das englische Recht kenne kein en
Pflichtteil. Kinder des Verstorbenen könnten für den Fall, dass sie nicht
ausreichend bedacht wurden, bei Gericht einzig eine "angemessene finanzielle
Regelung" nach dem Inheritance (Provision for Family und Dependants)
Act 1975 beantragen. Erwachsenen Kindern stehe danach regelmäßig
kein Anspruch auf Teilhabe am Nachlass zu. Das aber verstoße
gegen die Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1
GG, nach der eine Teilhabe der Kinder am Nachlass der Eltern nicht von
deren Bedürftigkeit abhängig gemacht werden dürfe. Das englische Recht
rücke das Nachlassrecht in die Nähe des Unterhaltsrechts und knüpfe daran
an, dass der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen Wohnsitz in
England oder Wales hatte. Nach deutschem Rechtsverständnis seien vielmehr
die grundsätzlich unauflösbare Beziehung zwischen Eltern und Kindern
und die daraus erwachsene Familiensolidarität ausschlaggebend für
eine Teilhabe der Kinder am Nachlass ihrer Eltern. Der Wohnort spiele
dabei keine Rolle. Schließlich stelle das englische Recht die Entscheidung
über eine finanzielle Zuwendung und deren Höhe in das Ermessen des
Gerichts. Auch dies widerspreche der nach deutschem Rechtsverständnis
gebotenen und in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Garantie einer
bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder am
Nachlass ihrer Eltern. Zur Gewährleistung einer dem deutschen ordre
public entsprechenden Regelung müsse auf die Vorschriften des deutschen
Pflichtteilsrechts zurückgegriffen werden.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1,
Satz 2 Halbsatz 2, Satz 3 BGB ein Anspruch auf Auskunft über den Bestand
des Nachlasses des Erblassers und auf Wertermittlung in dem vom
Berufungsgericht tenorierten Umfang zu.

1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, einem Auskunfts-
und Wertermittlungsanspruch des Klägers stehe nicht der Umstand
entgegen, dass der Erblasser in seinem Testament für die Rechtsfolge von
Todes wegen in sein gesamtes Vermögen das englische Recht als Teilrecht
seines Heimatstaates gewählt hat.

a) Gemäß Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit,
das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher
Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen
Nachlasszeugnisses (ABl. EU 2012 Nr. L 201 S. 107; im Folgenden:
EuErbVO) stand es dem Erblasser frei, für die Rechtsfolge von Todes wegen
mit dem englischen Recht das Recht des Staates zu wählen, dem er
im Zeitpunkt der Rechtswahl angehörte. Die Wahl englischen Erbrechts
war auch wirksam. Zwar datiert das Testament vom 13. März 2015, während
die EuErbVO erst seit dem 17. August 2015 gilt. Da der Erblasser
aber im Jahr 2018 verstorben ist, gilt gemäß Art. 83 Abs. 4 EuErbVO dasjenige
Recht, dessen Anwendung der Erblasser vor dem Stichtag im Rahmen
einer Verfügung von Todes wegen nach dem nach Art. 22 EuErbVO
wählbaren Recht angeordnet hat.

b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Anwendung englischen
Rechts jedenfalls im hier zur Entscheidung stehenden Fall mit dem deutschen
ordre public offensichtlich unvereinbar (Art. 35 EuErbVO). Denn das
englische Recht steht zu der nach deutschem Recht verfassungsrechtlich
verbürgten Nachlassverteilung in einem so schwerwiegenden Widerspruch,
dass dessen Anwendung im hiesigen Fall untragbar ist. Dies hat
zur Folge, dass es hier keine Anwendung findet.

aa) Art. 35 EuErbVO sieht vor, dass die Anwendung einer Vorschrift
des nach der Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates nur versagt
werden darf, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre
public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar
ist. Die Bestimmung ermöglicht es dem Gerichtsstaat, im Ausnahmefall
wesentliche Grundsätze und Werte des eigenen materiellen Rechts im
Einzelfall zu wahren und trotz einer entgegenstehenden Regelung der lex
causae durchzusetzen (vgl. Köhler in Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales
Erbrecht 3. Aufl. § 4 Rn. 172; NK-BGB/Looschelders 3. Aufl. Art. 35
EuErbVO Rn. 1; Pintens in Löhnig/Schwab ua (Hrsg), Erbfälle unter Geltung
der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2014, S. 1, 27; Schwartze in
Deixler-Hübner/Schauer, Kommentar zur EU-Erbrechtsverordnung
(EuErbVO) 2. Aufl. Art. 35 Rn. 3, 11). Für die Annahme eines Verstoßes
gegen den ordre public reicht eine bloße Abweichung des ausländischen
Rechts von inländischen Rechtsgrundsätzen nicht aus. Er liegt nur dann
vor, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten
Einzelfall zu den Grundgedanken der nationalen Regelungen und
den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch
steht, dass es nach inländischer Vorstellung schlichtweg untragbar
erscheint (vgl. Erwägungsgrund 58 Satz 1 EuErbVO; EuGH, Urteil
vom 28. März 2000 - C-7/98, EU: C: 2000:164 Rn. 37; BGH, Beschluss
vom 14. November 2018 - XII ZB 292/15, NJW-RR 2019, 321 Rn. 30; Urteil
vom 8. Mai 2014 - III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 Rn. 29; st. Rspr.;
vgl. auch Bauer/Fornasier in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht
2. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 5; Grüneberg/Thorn, BGB 81. Aufl. Art. 6
EGBGB Rn. 5; Lagarde in Bergquist/Damascelli ua (Hrsg), EU-Erbrechtsverordnung
2015 Art. 35 Rn. 2; NK-BGB/Looschelders 3. Aufl. Art. 35
EuErbVO Rn. 14; Soutier, Die Geltung deutscher Rechtsgrundsätze im
Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2015,
S. 198 ff.; vgl. zu Art. 6 EGBGB BT-Drs. 10/504, S. 42 ff.).

bb) Nach diesem Maßstab liegt hier ein offensichtlicher Verstoß gegen
den deutschen ordre public vor.

(1) Das Pflichtteilsrecht ist als Institutionsgarantie dem Bestand des
deutschen ordre public zuzurechnen. Das Bundesverfassungsgericht hat
in seiner Grundsatzentscheidung vom 19. April 2005 (BVerfGE 112,
332 ff.) klargestellt, dass dem Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers
unter Verweis auf die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
Art. 6 Abs. 1 GG Grundrechtscharakter im Sinne einer grundsätzlich unentziehbaren
und bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung
der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass zukommt. Dies folgt
aus der Familiensolidarität und der hieraus abgeleiteten familienschützenden
Funktion des Pflichtteilsrechts (vgl. BVerfGE aaO [juris Rn. 64 ff.]).
Art. 6 Abs. 1 GG schützt das Verhältnis zwischen dem Erblasser und seinen
Kindern als lebenslange Gemeinschaft, innerhalb derer Eltern wie Kinder
nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind, füreinander sowohl
materiell als auch persönlich Verantwortung zu übernehmen. Die
Testierfreiheit des Erblassers unterliegt damit von Verfassungs wegen
grundsätzlich auch den durch die Abstammung begründeten familienrechtlichen
Bindungen. Das Pflichtteilsrecht hat die Funktion, die Fortsetzung
des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs von Vermögen und Familie
- unabhängig von einem konkreten Bedarf des Kindes - über den Tod
des Vermögensinhabers hinaus zu ermöglichen (vgl. BVerfGE aaO [juris
Rn. 72]). An dieser Einordnung des Pflichtteilsrechts von Kindern als
grundrechtlich geschützte Rechtsposition hat das Bundesverfassungsgericht
auch in seiner neueren Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten
(vgl. BVerfG ZEV 2019, 79 Rn. 13, zur Verfassungsgemäßheit von § 2325
Abs. 3 Satz 3 BGB).

(2) Das englische Recht kennt demgegenüber keinen bedarfsunabhängigen
und nach festen Quoten berechneten Anspruch eines Abkömmlings
nach dem Tod des Erblassers. Ein Pflichtteilsrecht, wie es der deutschen
Rechtsordnung entspricht, ist dem englischen Recht fremd.

(a) Ohne Erfolg beanstandet die Revision mit der Verfahrensrüge,
das Berufungsgericht habe lediglich pauschal und ohne nähere Begründung
ausgeführt, ihm sei bekannt, dass die englische Rechtsordnung nahen
Verwandten keinerlei Pflichtteils- und Noterbrechte am Nachlass zugestehe
und habe allein auf dieser Grundlage die Entscheidung getroffen,
dass sich das englische vom deutschen Recht wesensmäßig unterscheide.
Es habe zugleich unterlassen, die konkrete Ausgestaltung des
Rechts der ausländischen Praxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung,
zu ermitteln.

(aa) Der deutsche Tatrichter hat das ausländische Recht von Amts
wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO). Dabei hat er es so anzuwenden, wie es
der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet. Wie er sich
diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Vom
Revisionsgericht wird insoweit lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein
Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen
unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles
hinreichend ausgeschöpft hat (vgl. Senatsurteil vom 18. März 2020
- IV ZR 62/19, VersR 2020, 614 Rn. 23 ff.; BGH, Urteil vom 25. Januar
2022 - II ZR 215/20, WM 2022, 670 [juris Rn. 15]; Beschlüsse vom
30. März 2021 - XI ZB 3/18, NJW-RR 2021, 916 Rn. 59; vom 17. Mai 2018
- IX ZB 26/17, WM 2018, 1316 Rn. 12 m.w.N; st. Rspr.). Die Grenzen der
Ermessensausübung des Tatrichters werden durch die jeweiligen Umstände
des Einzelfalles bestimmt. An die Ermittlungspflicht werden umso
höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder im
Vergleich zum eigenen das anzuwendende Recht ist. Von Einfluss auf das
Ermittlungsermessen können auch Vortrag und sonstige Beiträge der Parteien
sein. Tragen die Parteien eine bestimmte ausländische Rechtspraxis
detailliert und kontrovers vor, wird der Richter regelmäßig umfassendere
Ausführungen zur Rechtslage zu machen - gegebenenfalls sämtliche ihm
zugänglichen Erkenntnismittel zu erschöpfen - haben, als wenn der Vortrag
der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt
oder sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie
dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen. Auch dies hängt jedoch
stets von den Besonderheiten des einzelnen Falles ab (vgl. Senat surteil
vom 18. März 2020 aaO Rn. 24 m.w.N.).

(bb) Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht sein Ermessen
im Streitfall rechtsfehlerfrei ausgeübt. Mangels sonstiger Regelungen
zur Nachlassverteilung bei nicht bedachten Abkömmlingen hat das
Berufungsgericht zu Recht auf die Regelungen des Inheritance (Provision
for Family und Dependants) Act 1975 (im Folgenden: Inheritance Act
1975) abgestellt. Bereits dadurch ist den Anforderungen des § 293 ZPO
Genüge getan. Auch in Anbetracht des Vortrags der Parteien war eine
weitere Prüfung nicht veranlasst. Wie die Parteien übereinstimmend vorgetragen
haben, kennt das englische Recht kein quotenmäßiges Pflichtteils-
oder Noterbrecht und sieht der Inheritance Act 1975 eine angemessene
finanzielle Beteiligung am Nachlass für Abkömmlinge nur bedarfsabhängig
nach richterlichem Ermessen vor. Diese nach englischem Recht
vorzunehmende Ermessensentscheidung - unter anderem abhängig von
der Bedürftigkeit des Abkömmlings und dem letzten Wohnsitz des Erblassers
- reichte dem Berufungsgericht für die Feststellung aus, dass das
englische Recht der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Garantie
einer bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder
am Nachlass ihrer Eltern entgegensteht. Vor diesem Hintergrund genügte

hier eine rechtsvergleichende Betrachtung, wie sie das Berufungsgericht
vorgenommen hat.

Das Berufungsgericht musste keine Feststellungen dazu treffen, ob
die englische Rechtsprechung - wovon die Revision ausgeht - die Tendenz
haben sollte, nach einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles
auch volljährigen Kindern eine Beteiligung am Nachlass zukommen zu
lassen (vgl. Hördt, Pflichtteilsrecht und EU-ErbVO, 2019, S. 362 ff.; Röthel
in FS v. Wolff, Pflichtteilsrecht - Forced
Heirship - Family Provision, 2011, S. 176 ff.). Hierauf kommt es für den
Streitfall nicht an. Ein das Fehlen seines Pflichtteilsrechts kompensierender
Unterhaltsanspruch des Klägers würde jedenfalls schon daran scheitern,
dass der Erblasser sein letztes Domizil nicht in England oder Wales
hatte, wie dies Section 1 (1) Inheritance Act 1975 für die Geltendmachung
eines Ausgleichsanspruchs fordert. Der Begriff des "domicile" ist nicht mit
dem deutschen Begriff des Wohnsitzes identisch, sondern wird enger verstanden
(vgl. KG IPRspr. 2007 Nr. 163 [juris Rn. 13]; Staudinger/Mankowski,
(2010) Vorbem. zu Art. 13 - 17b EGBGB Rn. 20 f.). Insoweit wird
zwischen dem ursprünglichen "domicile of origin" und einem später freiwillig
gewählten "domicile of choice" unterschieden. Letzteres kann begründet
werden, wenn sich die betreffende Person an einem Ort mit der
Absicht niederlässt, dort für immer oder auf unbestimmte Zeit zu bleiben
und nicht mehr in das Land des bisherigen Domizils zurückzukehren. An
den Nachweis eines derartigen "domicile of choice" sind strenge Anforderungen
zu stellen (vgl. KG aaO; Staudinger/Mankowski aaO Rn 21). Hier
bestehen angesichts der Lebensumstände des Erblassers, der seit mehreren
Jahrzehnten in Deutschland ohne erkennbare Rückkehrabsicht nach
England lebte, keine Zweifel, dass er sein "domicile" im Inland hatte.

(b) Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum englischen Recht
treffen auch zu. Das englische Recht beschränkt die Dispositionsbefugnis
des Erblassers weder durch ein Pflichtteils- noch ein Noterbrecht. Mittelbare
Beschränkungen enthält der Inheritance Act 1975. Kindern des Erblassers
kann danach auf Antrag ein Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass
zustehen, wenn es der Verstorbene unterlassen hat, angemessene
finanzielle Verfügungen zu treffen ("reasonable financial provision"; vgl.
Cornelius in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall 2. Aufl. Rn. 579; Henrich
in FS Yamauchi, 2006, S. 133, 136; Hördt, Pflichtteilsrecht und EU-ErbVO,
2019, S. 363 f.; Kristic in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl.
§ 15 ; Odersky, Die Abwicklung deutsch-englischer Erbfälle,
2001, S. 38; Röthel in FS v.
Süß/Tanck/Bittler, Handbuch Pflichtteilsrecht 4. Aufl. § 19 Rn. 147 f.,
156 ff.; Werkmüller, Rechtspolitische und rechtsvergleichende Aspekte
des geltenden Pflichtteilsrechts, 2002, S. 42 ff.; Wolff, Pflichtteilsrecht
- Forced Heirship - Family Provision, 2011, S. 180 f.). Section 1 (2) (b)
Inheritance Act 1975 richtet diese danach aus, welcher Unterhalt in Anbetracht
der Umstände als angemessen erscheint. Die Ermessensentscheidung
im Einzelfall obliegt den englischen Gerichten, wenn - anders als
hier - der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes sein "domicile" in England
oder Wales hatte. Nach englischem Recht bleibt der Kläger am Nachlass
des Erblassers bereits aus diesem Grund unbeteiligt.

(3) Die hier maßgebliche Frage, ob das Fehlen eines Pflichtteilsanspruchs
ohne das Eingreifen kompensatorischer Ansprüche des Anspruchstellers
nach englischem Recht gegen den deutschen ordre public
verstößt, ist umstritten. Eine Auffassung geht davon aus, dass sich ein
Durchschlagen des deutschen Pflichtteilsrechts auf andere Rechtsordnungen
durch die Anwendung des Art. 35 EuErbVO verbietet (vgl. Ayazi,
NJOZ 2018, 1041, 1045 ff.; im Ergebnis offenlassend Herzog, ErbR 2013,
2, 5; zurückhaltend Simon/Buschbaum, NJW 2012, 2393, 2395). Eine andere
Ansicht hält einen Verstoß gegen den deutschen ordre public bei einem
Pflichtteilsentzug, der sich - wie vorliegend - auf volljährige und wirtschaftlich
unabhängige Abkömmlinge beschränkt, im Einzelfall nicht (Ludwig/
A. Baetge in jurisPK-BGB, 9. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 9, 17, 21
[Stand: 2. März 2022]; Röthel in FS v.
Staudinger/Dörner, (2007) EGBGB Art. 25 Rn. 726; Staudinger/Beiderwieden,
juris PR-IWR 6/2021 Anm. 2) oder erst dann für gegeben, wenn der
Betreffende deshalb der deutschen Sozialhilfe zur Last fällt (MünchKomm-
BGB/Dutta, 8. Aufl. EuErbVO Art. 35 Rn. 8 m.w.N.). Die überwiegende
Auffassung nimmt demgegenüber - wie auch das Berufungsgericht - an,
dass es der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verankerten
Garantie einer bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung
der Kinder am Nachlass ihrer Eltern widerspricht, wenn einem Abkömmling
nach dem gewählten Recht kein Anspruch auf Teilhabe am Nachlass zusteht,
so dass in diesen Fällen ein offensichtlicher Verstoß gegen den
deutschen ordre public vorliegt (vgl. Bauer/Fornasier in Dutta/Weber/
Bauer, 2. Aufl. Art. Schmidt,
EuErbVO Art. 35 Rn. 22.2 [Stand: 1. Februar 2022]; Grüneberg/Thorn,
BGB 81. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 2; Hohloch in FS Leipold, 2009 S. 997,
1005; Köhler in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht 2. Aufl. Art. 35
EuErbVO Rn. 8; Lehmann in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht
2. Aufl. § 14 Rn. 371 - 373; Looschelders in FS v. Hoffmann, 2011, 266,
280; Lorenz in Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, 2014,
Rn. 28; NK-BGB/Looschelders 3. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 25; Pintens in
Löhnig/Schwab ua (Hrsg), Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung,
2014, S. 1, 29; J. Schmidt in Bamberger/Roth/Hau/Posek,
4. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 22.2; Soutier, Die Geltung deutscher
Rechtsgrundsätze im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung,
2015, S. t. 6
EGBGB Rn. 190 [Stand: 31. Mai 2021]; Walther, GPR 2016, 128, 131).
(4) Die letztgenannte Ansicht trifft jedenfalls für den hier zu beurteilenden
Sachverhalt aufgrund seines hinreichend starken Inlandsbezuges
zu.

(a) Allein diese erfüllt die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten
Anforderungen an eine bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung
der Kinder am Nachlass ihrer Eltern (BVerfGE 112, 332 unter
C I 2 [juris Rn. 64 ff.]). Sowohl die erstgenannte als auch die zweitgenannte
Ansicht werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Eine Absicherung
von Kindern, die nur bei einer entsprechenden (Sozialhilfe-)Bedürftigkeit
und damit abhängig von Ermessenerwägungen im Einzelfall eingreift,
widerspricht dieser in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG
verankerten Garantie. Auch Erblasserwille und Testierfreiheit rechtfertigen
keinen Ausschluss des Pflichtteilsrechts. Das Pflichtteilsrecht der Kinder
setzt der Testierfähigkeit des Erblassers Grenzen (BVerfGE aaO unter
C I 3 c [juris Rn. 73]). Zwar ist die Ausgestaltung und die Höhe des Pflichtteilsanspruchs
nicht verfassungsrechtlich vorgegeben (BVerfGE aaO unter
C I 4 [juris Rn. 76]). Es muss aber eine unentziehbare angemessene
Teilhabe der Kinder am Nachlass des Erblassers gewährleistet werden
(BVerfGE 112 aaO [juris Rn. 76]). Wenn - wie hier - einem Kind des Erblassers
nach ausländischem Recht ein Pflichtteil wegen des fehlenden
"domicile" des Erblassers in England kompensationslos versagt wird oder
dieser von nicht vorab festgelegten Kriterien, die nicht bedarfsunabhängig
sind, abhängt und in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, ist der Kern
des Pflichtteils angetastet. Das ist mit dem deutschen ordre public offensichtlich
unvereinbar.

(b) Ein anderes Verständnis folgt nicht aus den Erwägungsgründen
der EuErbVO. Erwägungsgrund 38 Satz 2 EuErbVO stellt klar, dass die
Rechtswahl auf das Recht des Staates, dem der Erblasser angehört, beschränkt
sein sollte, um zu vermeiden, dass ein Recht mit der Absicht gewählt
wird, die berechtigten Erwartungen der Pflichtteilsberechtigten zu
vereiteln und auf diese Weise sicherzustellen, dass eine Verbindung zwischen
dem Erblasser und dem gewählten Recht besteht. Entgegen der
Ansicht der Revision wird diese Wertung nicht unterlaufen, wenn bei der
Wahl einer fremden Rechtsordnung gemäß Art. 22 EuErbVO im Einzelfall
zu entscheiden ist, ob ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt. Die
Existenz von Art. 35 EuErbVO neben Art. 22 EuErbVO spricht dafür, dass
der europäische Verordnungsgeber den Schutz des Pflichtteilsberechtigten
im Einzelfall für geboten erachtet. Nach Erwägungsgrund 58 Satz 2
EuErbVO dürfen die Gerichte eines Mitgliedstaates die Anwendung des
Rechts eines anderen Mitgliedstaats zwar nicht aus Gründen der öffentlichen
Ordnung ausschließen, wenn dadurch gegen die Charta der Grundrechte
der Europäischen Union verstoßen würde. Dass aus der Nichtanwendung
englischen Rechts - ungeachtet der Frage danach, wie es sich
auswirkt, dass England nicht Vertragsstaat der Verordnung geworden ist -
ein relevanter Verstoß gegen die Grundrechtecharta folgen würde, ist aber
nicht anzunehmen.

(c) Auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 35 EuErbVO ergibt
sich nichts Gegenteiliges. Der Kommissionsvorschlag sah in Art. 27 Abs. 2
EuErbVO-E (KOM 2009/0154 endg. - COD 2009/0157) noch vor, dass eine
abweichende Regelung des Pflichtteilsanspruchs nicht per se als Verstoß
gegen den ordre public qualifiziert werden könne. Der Wegfall der Bestimmung
im Verlauf des Legislativverfahrens spricht dafür, dass unterschiedliche
Pflichtteilsregelungen unter engen Voraussetzungen die Berufung
auf den ordre public rechtfertigen können (vgl. BeckOGK/J. Schmidt,
EuErbVO Art. 35 Rn. 22 (Stand: 1. Februar 2022); Burandt/Schmuck in
ders./Rojahn, 3. Aufl. EuErbVO Art. 35 Rn. 2 m.w.N.).

(d) Auch die von der Revision herangezogene Argumentation, es sei
nicht richtig, dass sich das deutsche Erbrecht und damit ein Pflichtteilsanspruch
gerade und nur in den Fällen durchsetze, in denen die ge wählte
Zielrechtsordnung ein Pflichtteilsrecht nicht vorsehe, wohingegen es in
den Fällen, in denen das gewählte Recht zwar einen Pflichtteilsanspruch
vorsehe, dieser jedoch hinter dem deutschen Standard zurück bleibe, mit
der Anwendung des Rechts des Zielstaates sein Bewenden habe, rechtfertigt
kein anderes Ergebnis. Sie übersieht, dass Maßstab für einen Verstoß
gegen den ordre public die Frage ist, ob das konkrete Ergebnis der
Anwendung des ausländischen Rechts zu missbilligen ist (vgl. BGH, Urteil
vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 unter III 4 a [juris
Rn. 38]). Eine pauschale Betrachtungsweise verbietet sich insofern.

(e) Entgegen der Ansicht der Revision steht diesem Verständnis ferner
nicht entgegen, dass frühere Entscheidungen das Bestehen eines familiären
Pflichtteils- und Noterbrechts nicht zum deutschen ordre public
gezählt und das Fehlen eines Pflichtteils im ausländischen Recht nicht
beanstandet haben (vgl. RG JW 1912, 22; BGH, Urteil vom 21. April 1993
- XII ZR 248/91, NJW 1993, 1920 [juris Rn. 14]; OLG Hamm ZEV 2005,
436 [juris Rn. 48 ff.]; OLG Köln FamRZ 1976, 170, 172). Auf der Grundlage
des von dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 112, 332 ff.; BVerfG
ZEV 2019, 79 Rn. 13) aufgezeigten Werteverständnis von einer gerechten
Nachlassverteilung zugunsten von Kindern hält der Senat diese Ansicht
für überholt.

(f) Soweit im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten wird, ein
Verstoß gegen den ordre public sei zu verneinen, wenn das Fehlen des
Pflichtteilsanspruchs eines Abkömmlings durch Ersatzmechanismen wie
die englische "family provision" kompensiert werde, (vgl. Andrae in FS
v. Hoffmann 2011 S. 3, 15; BeckOGK/J. Schmidt, EuErbVO Art. 35
Rn. 22.2 [Stand: 1. Februar 2022]; MünchKommBGB/Dutta, 8. Aufl.
EuErbVO Art. 35 Rn. 8 m.w.N; Obergfell in Hager, Vorweggenommene
Vermögensübertragung unter Ausschluss von Pflichtteilsansprüchen,
2013, S. 9, 28 f.), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Abgesehen davon,
dass hier ein derartiger Kompensationsanspruch mangels "domicile"
des Erblassers in England oder Wales im Todeszeitpunkt nicht in Betracht
kommt, unterscheidet sich das englische Recht dadurch grundlegend von
der deutschen Rechtsordnung, dass es gerade keine bedarfsunabhängige
quotale Beteiligung von Abkömmlingen am Nachlass vorsieht, sondern
das Gericht zu prüfen hat, inwieweit die vom Erblasser getroffene Regelung
einen vernünftigen finanziellen Ausgleich für den Anspruchsteller enthält.
Wird eine derartige "reasonable financial provision" durch die testamentarische
Regelung nicht gewährleistet, kann das zuständige Gericht
entsprechende Anordnungen treffen, gegebenenfalls auch durch den Erben
an den Angehörigen zu leistende Zahlungen festsetzen. Diese Regelung
in Section 2 (1) Inheritance Act ist indessen eine reine Ermessensregelung
("the court may"). Ferner hängt das Zuerkennen eines derartigen
Ausgleichsanspruchs von zahlreichen Faktoren des Einzelfalles ab, wie
sie in Section 3 (1) Inheritance Act aufgelistet werden, so finanzielle Ressourcen
und Bedürfnisse des Antragstellers, weiterer Antragsteller und
des Erben, Art und Größe des Nachlasses, körperliche oder geistige Beeinträchtigungen
des Antragstellers und des Erben (vgl. hierzu Kristic in
Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. § 15 Rn. 224 ff.). Insbesondere
bei volljährigen Kindern mit eigenem Einkommen sind englische
Gerichte mit dem Zuerkennen eines Anspruchs eher zurückhaltend ( vgl.
Kristic aaO Rn. 234). Das englische Recht bleibt somit in seiner geset zlichen
und konkreten Ausgestaltung hinter dem verfassungsrechtlich verbürgten
Pflichtteilsanspruch von Kindern nach deutschem Recht in einer
mit dem deutschen ordre public nicht zu vereinbarenden Art und Weise
zurück.

(5) Die Nichtanwendung des an sich berufenen ausländischen
Rechts infolge offensichtlicher Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung
des Staates des angerufenen Gerichts setzt ferner voraus, dass der
zu beurteilende Sachverhalt eine hinreichend starke Inlandsbeziehung
aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006 - XII ZR 79/04, BGHZ
169, 240, unter III 4 c [juris Rn. 50]; ferner BVerfG, NJW 1971, 1509 unter
C III 3 [juris Rn. 43]; Andrae in FS v. Hoffmann S. 3, 15; Köhler in
Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 5
m.w.N.). Diese hat das Berufungsgericht hier rechtsfehlerfrei angenommen.
Die zu schützenden Familienbeziehungen des Erblassers hatten ihren
Mittelpunkt in Deutschland. Sowohl der Kläger als auch der Erblasser
haben bzw. hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Erbfalls
in Deutschland, der Erblasser bereits seit mehr als 50 Jahren. Dort
befand sich auch das Vermögen des Erblassers. Der Kläger besitzt zudem
die deutsche Staatsangehörigkeit.

cc) Ein Verstoß gegen den ordre public hat zur Folge, dass die ausländische
Rechtsnorm im konkreten Fall keine Anwendung findet. Um zu
gewährleisten, dass möglichst geringfügig in das ansonsten weiterhin anzuwendende
ausländische Recht eingegriffen wird, sind Lücken zunächst
unter Zuhilfenahme der lex causae zu schließen. Die lex fori ist nur hilfsweise
als Ersatzrecht anzuwenden (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006
- XII ZR 79/04, BGHZ 169, 240, unter III 4 c [juris Rn. 50]; Beschluss vom
14. Oktober 1992 - XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29, unter II 6 [juris Rn. 21];
Pfundstein, Pflichtteil und ordre public, 2010, Rn. 531; Soutier, Die Geltung
deutscher Rechtsgrundsätze im Anwendungsbereich der Europäischen
Erbrechtsverordnung, 2015, S. 225 ff.; Stürner, GPR 2014, 317,
324). So liegt der Fall nach den aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden
Feststellungen des Berufungsgerichts hier. Da das englische Recht
keinen den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1
GG genügenden Anspruch des Klägers auf Teilhabe am Nachlass vorsieht,
lässt sich diesem für den hier vorliegenden Fall keine dem deutschen
Rechtsverständnis entsprechende äquivalente Lösung entnehmen.
Dementsprechend bedarf es des Rückgriffs auf das deutsche Pflichtteilsrecht.

dd) Ferner ist kein Vorabentscheidungsverfahren an den Gerichtshof
der Europäischen Union veranlasst. Es geht hier gerade nicht um die
Auslegung einer Norm der Europäischen Erbrechtsverordnung im europarechtlichen
Kontext. Die Besonderheit des Art. 35 EuErbVO liegt gerade
darin, dass die Anwendung des an sich nach der Europäischen Erbrechtsverordnung
berufenen Rechts ausscheidet, weil dessen Anwendung mit
der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich
unvereinbar wäre. Diese Frage kann nur von dem nationalen Gericht
für das jeweilige nationale Recht beantwortet werden.

2. Das Berufungsgericht hat ferner zu Recht angenommen, dass
dem Kläger als Pflichtteilsberechtigtem gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1,
Satz 3 BGB ein Anspruch auf Auskunftserteilung über den Bestand des
Nachlasses des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls durch notarielles
Nachlassverzeichnis zusteht, der gemäß § 2325 BGB auch ergänzungspflichtige
Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall
erfasst. Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB hat er darüber hinaus
einen Anspruch auf Wertermittlung der im Einzelnen bezeichneten
Nachlassgegenstände.

Nach dem Testament ist die Beklagte Alleinerbin geworden. Der
Kläger als Adoptivsohn des Erblassers ist pflichtteilsberechtigt gemäß
§§ 2303 Abs. 1, 1754 Abs. 1, 1755 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 § 2 Abs. 2,
Abs. 3, § 3 Abs. 1 AdoptG und von der Erbfolge ausgeschlossen. Mit ihrer
Rüge gemäß § 286 ZPO, das Berufungsgericht habe keine Feststellungen
dazu getroffen, ob dem Kläger nach dem Inhalt des Adoptionsvertrags ein
Pflichtteilsrecht zustehe, vermag die Beklagte nicht durchzudringen. Zwar
trifft es zu, dass die notarielle Urkunde vom 30. Oktober 1975 die Regelung
enthält, dass die Erb- und Pflichtteilsrechte für den Kläger nach dem
Erstversterbenden der annehmenden Eheleute ausgeschlossen sind. Entgegen
der Auffassung der Revision steht diese Regelung einem Pflichtteilsrecht
des Klägers aber nicht entgegen. Da der Kläger beim Inkrafttreten
des Adoptionsgesetzes am 1. Januar 1977 noch minderjährig war,
wurde das Annahmeverhältnis gemäß Art. 12 § 2 Abs. 1, Abs. 2 AdoptG
(vgl. zu dessen Verfassungsmäßigkeit BVerfG NJW 2003, 2600) grundsätzlich
ab dem 1. Januar 1978 in ein solches gemäß §§ 1741 ff. BGB
übergeleitet. Dies hat zur Folge, dass der Erbrechts- und Pflichtteilsrechtsausschluss,
der im Annahmevertrag gemäß § 1767 Abs. 1 BGB in
der seinerzeit gültigen Fassung erfolgt war, mit der Überleitung seine
Wirksamkeit verlor, sofern kein Widerspruch nach Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2
AdoptG ausdrücklich erklärt worden war (Müller-Engels in Münch, Familienrecht
in der Notar- und Gestaltungspraxis 3. Aufl. § 14 Rn. 56).

Der ausdrücklich zu erklärende Widerspruch ist ein rechtsvernichtender
Umstand, für den der Beklagten nach allgemeinen Grundsätzen der
Nachweis obliegt (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1998 - V ZR 386/97,
NJW 1999, 352, unter II 3 b aa [juris Rn. 13]; Musielak/Voit/Foerste, ZPO
18. Aufl. § 286 Rn. 35). Die Revision legt insoweit nicht dar, dass das
Berufungsgericht substantiierten Vortrag der Beklagten zu einem Widerspruch
nach Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2 AdoptG verfahrensordnungswidrig
übergangen hätte. Erstinstanzlich hat die Beklagte lediglich mit Nichtwissen
bestritten, dass es sich bei dem Kläger um einen Adoptivsohn des
Erblassers handelt und dessen Aktivlegitimation in Abrede gestellt. Irgendeinen
Tatsachenvortrag zu Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2 AdoptG hat die
Beklagte in den Instanzen nicht gehalten. Das Berufungsgericht hat auch
nicht - wie die Beklagte meint - gegen § 139 ZPO verstoßen, indem es vor
seiner Entscheidung gehörswidrig nicht auf eine sekundäre Darlegungslast
des Klägers hingewiesen hat. Die sekundäre Darlegungslast entsteht
erst dann, wenn die primär darlegungs- und beweisbelastete Partei Anknüpfungstatsachen
schlüssig vorgetragen hat und sich daraus eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihres Vortrags ergibt ( vgl. Se-
natsurteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 90/13, VersR 2015, 271
Rn. 21). Daran fehlt es.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

29.06.2022

Aktenzeichen:

IV ZR 110/21

Rechtsgebiete:

Abstammung (incl. künstliche Befruchtung), Adoption
Deutsches IPR (EGBGB)
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB § 2314 Abs. 1; EuErbVO Art. 35; AdoptG Art. 12 § 2 Abs. 2