Zulässigkeitsfragen bzgl. der Container-Signatur
letzte Aktualisierung: 13.8.2019
BGH, Beschl. v. 15.5.2019 – XII ZB 573/18
ZPO §§ 130 Nr. 6, 130a; ERVV § 4
Zulässigkeitsfragen bzgl. der Container-Signatur
Die im EGVP-Verfahren eingesetzte qualifizierte Container-Signatur genügt seit dem
1. Januar 2018 nicht mehr den Anforderungen des
BSG Beschlüsse vom 20. März 2019 – B 1 KR 7/18 B – juris und
BVerwG
=
Gründe:
A.
Die Klägerin ist die Vermieterin, die Beklagte die Mieterin von Gewerberäumen.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung rückständiger Miete und von
Nebenkosten in Höhe von insgesamt 48.449,59 € nebst Zinsen in Anspruch
genommen. Mit der Beklagten am 18. Mai 2018 zugestelltem Urteil hat das
Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Hiergegen hat die Beklagte durch ihren Prozessbevollmächtigten mit einem
am 18. Juni 2018 um 11.36 Uhr an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach
(im Folgenden: EGVP) übermittelten elektronischen Dokument
vom selben Tag Berufung eingelegt. Die dabei verwendete qualifizierte
elektronische Signatur (im Folgenden: qeS) bezieht sich nach dem Transfervermerk
nicht auf dieses elektronische Dokument selbst, sondern auf den
Nachrichtencontainer (sog. Container-Signatur) mit den Inhaltsdaten "nach-
richt.xml, nachricht.xsl, visitenkarte.xml, visitenkarte.xsl, herstellerinformation.
xml" und zwei Anhängen jeweils im PDF-Format, bei denen es sich um den
Berufungsschriftsatz sowie einen Scan des angefochtenen Urteils handelt. Im
Anschluss an einen nach Eingang der Berufungsbegründung erteilten Hinweis
des Oberlandesgerichts zu Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Container-
Signatur hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Berufungsfrist
beantragt und nochmals erklärt, Berufung einzulegen.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen
und die Berufung der Beklagten verworfen. Hiergegen richtet sich die
Rechtsbeschwerde der Beklagten.
B.
Die gemäß
§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
I.
Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Berufung sei nicht binnen der Notfrist von einem Monat eingelegt
worden, weil der Berufungsschriftsatz nicht die vorgeschriebene Form wahre.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe ihn weder eigenhändig unterschrieben
noch die Unterschrift wirksam durch Einhaltung des Verfahrens nach
ersetzt. Die verwendete qualifizierte Container-Signatur sei vielmehr seit dem
1. Januar 2018 nicht mehr zulässig.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei der Beklagten zu versagen,
weil sie die Berufungsfrist durch ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten,
das ihrem Verschulden gleichstehe, versäumt habe. Dieser habe
seine früher geübte Praxis fortgesetzt und sich dabei in einem nicht entschuldigten
Rechtsirrtum befunden. Da der Berufungsschriftsatz erst am Tag des
Fristablaufs auf dem Server des Empfangsgerichts eingegangen sei, habe das
Oberlandesgericht auch im Rahmen seiner Fürsorgepflicht im ordentlichen Geschäftsgang
nicht mehr rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist auf den Formmangel
hinweisen können, so dass sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten
der Beklagten ausgewirkt habe.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Das Oberlandesgericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass
die Beklagte nicht innerhalb der am 18. Juni 2018 abgelaufenen einmonatigen
Berufungsfrist formgerecht Berufung eingelegt hat.
a) Nach § 519 Abs. 1 ZPO ist die Berufung binnen der gemäß § 517 ZPO
mit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils beginnenden einmonatigen Berufungsfrist
mittels Berufungsschrift einzulegen. Als bestimmender Schriftsatz
muss sie gemäß §§ 519 Abs. 4, 130 Nr. 6, 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich
durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein
(vgl. BGH Beschluss vom 10. April 2018 - VIII ZB 35/17 - juris Rn. 13 mwN; Senatsbeschluss
vom 2. April 2008 - XII ZB 120/06 -
Die Berufungsschrift kann nach
Dokument bei Gericht eingereicht werden. Dieses elektronische Dokument
muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung
bestimmt durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung
geeigneten technischen Rahmenbedingungen (§ 130 a Abs. 2 ZPO). Diese
sind geregelt in der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen
des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Be-
hördenpostfach vom 24. November 2017 (Elektronischer-Rechtsverkehr-
Verordnung - ERVV, BGBl. I S. 3803; geändert durch Verordnung vom
9. Februar 2018, BGBl. I S. 200), die nach § 10 Abs. 1 ERVV zum 1. Januar
2018 in Kraft getreten ist. Das elektronische Dokument muss zudem mit einer
qeS der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden
Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht
werden (
darf lediglich auf einem sicheren Übermittlungsweg oder an das EGVP übermittelt
werden (§ 4 Abs. 1 ERVV). Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen
nicht mit einer gemeinsamen qeS übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 ERVV).
b) Diesen rechtlichen Vorgaben wird die am 18. Juni 2018 beim Oberlandesgericht
eingegangene Berufungsschrift der Beklagten nicht gerecht, weil
die nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von §§ 130 a Abs. 3
und 4 ZPO, 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV, sondern an das EGVP übermittelte Berufungsschrift
nicht mit der erforderlichen qeS versehen ist. Die sog. Container-
Signatur, die sich auf den mehrere Dateien umfassenden Nachrichtencontainer
bezieht und in der Papierwelt einer Unterschrift auf der Rückseite eines verschlossenen
Briefumschlags entspricht (vgl. Bacher
nicht ausreichend.
aa) Allerdings hat der Bundesgerichtshof für die vor dem 1. Januar 2018
geltende Rechtslage entschieden, dass die im EGVP-Verfahren eingesetzte
qualifizierte Container-Signatur den Anforderungen des § 130 a Abs. 1 Satz 2
ZPO aF, wonach die verantwortende Person das Dokument mit einer qeS versehen
sollte, genügte. Denn mit ihr würden Sinn und Zweck der qualifizierten
Signatur - die Sicherstellung von Authentizität und Integrität des Dokuments -
erreicht. Die qualifizierte Container-Signatur sei dadurch gekennzeichnet, dass
sie nicht nur die jeweils übersandte Einzeldatei, sondern die gesamte elektronische
Nachricht umfasse, mit der die Datei an das Gericht übermittelt werde.
Ebenso wie die Einzelsignatur stelle sie sicher, dass die Nachricht auf dem
Weg vom Sender zum Empfänger nicht manipuliert worden sei, und ermögliche
die Feststellung, ob der Inhalt der übersandten Dateien verändert worden sei.
Darüber hinaus biete die qualifizierte Container-Signatur eine der Einzelsignatur
vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Verfassers, die
übersandten Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen (
=
bb) Für die seit dem 1. Januar 2018 geltende Rechtslage kann diese
Rechtsprechung jedoch keine Geltung mehr beanspruchen. Wegen der in
§§ 130 a Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 ZPO, 4 Abs. 2 ERVV getroffenen Regelung ist
eine Container-Signatur nicht mehr zulässig.
(1) Durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs
mit Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) ist
vom 1. Januar 2018 vollständig neu gefasst und durch die Elektronischer-
Rechtsverkehr-Verordnung ergänzt worden. Die Sollvorschrift des § 130 a
Abs. 1 Satz 2 ZPO aF zur qeS ist durch die Muss-Bestimmung in § 130 a
Abs. 3 ZPO ersetzt worden. § 4 Abs. 2 ERVV untersagt nun die Übermittlung
mehrerer elektronischer Dokumente mit einer gemeinsamen qeS.
(2) Die Reichweite des § 4 Abs. 2 ERVV ist streitig. Teilweise wird vertreten,
die Vorschrift sei einschränkend auszulegen. Bei verfassungskonformem
Verständnis erfasse sie nicht mehrere elektronische Dokumente, die sämtlich
ein Verfahren betreffen und bei nicht elektronisch geführten Akten mit dem Ergebnis
der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt werden (vgl. OLG Brandenburg
vom 10. Oktober 2018 - L 2 R 117/18 - juris Rn. 30 ff.; Spitz jurisPR-ITR
21/2018 Anm. 6). Demgegenüber versteht die überwiegende Meinung in Rechtsprechung
und Literatur die Regelung als generelles Verbot der Container-
Signatur (vgl. BSG Beschlüsse vom 20. März 2019 - B 1 KR 7/18 B - juris
Rn. 5 f. und
BAG
LAG Urteil vom 18. Oktober 2018 - 11 Sa 70/18 - juris Rn. 23; Bacher MDR
2019, 1, 6; Plum
2979 f.; BeckOK ZPO/von Selle [Stand: 1. März 2019] § 130 a Rn. 15; Musielak/
Voit/Stadler ZPO 16. Aufl. § 130 a Rn. 5; Saenger/Kießling ZPO 8. Aufl.
§ 130 a Rn. 18; Thomas/Putzo/
Seiler ZPO 40. Aufl. § 130 a Rn. 3; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 130 a Rn. 8).
(3) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
(a) Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 ERVV untersagt nach ihrem Wortlaut die
Verwendung einer qeS für mehrere elektronische Dokumente. Gemäß dem im
Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers sollte
mit der Neuregelung die nach der bis dahin geltenden Rechtslage zulässige
Möglichkeit, mehrere elektronische Dokumente mit einer Container-Signatur zu
versehen, ausgeschlossen werden. Andernfalls wäre nach Ansicht des Gesetzgebers
eine Überprüfung der Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente
im weiteren Verfahren vor allem für den Prozessgegner oder andere
Verfahrensbeteiligte regelmäßig nicht mehr möglich, weil nach der Trennung
der elektronischen Dokumente die "Container-Signatur" nicht mehr überprüft
werden könne. Insbesondere bei mehrere Verfahren betreffenden elektronischen
Dokumenten werde eine solche Prüfung im Zuge der (geplanten) verbindlichen
Einführung der elektronischen Akte auch für Gerichtspersonen unmöglich
(vgl. BR-Drucks. 645/17 S. 15).
Für das von der Rechtsbeschwerde vertretene Normverständnis, das
Verbot beziehe sich nur auf die Versendung mehrerer für sich genommen formbedürftiger
Dokumente und nicht (wie hier) auf die eines einzigen formbedürfti-
gen Schriftsatzes nebst Anlage, findet sich weder im - nicht nach der Art der
elektronischen Dokumente differenzierenden - Wortlaut noch im gesetzgeberischen
Willen ein Anhaltspunkt. Der Ausschluss der Container-Signatur schafft
vielmehr die von der Aktenführung - in Papierform und/oder elektronisch - unabhängige
rechtliche Grundlage, um für die gesamte Verfahrensdauer und alle
Akteure nachprüfbar sicherzustellen, dass das Dokument mit einem nach Eingang
bei Gericht unveränderbaren Inhalt einer bestimmten verantwortenden
Person zuzuordnen ist (vgl. auch BSG Beschluss vom 20. März 2019
- B 1 KR 7/18 B - juris Rn. 6). Dies lässt sich durch eine Container-Signatur
nicht gewährleisten, weil nur das Dokument, nicht jedoch der Container mit Sicherheit
zur elektronischen Akte gelangt und die lediglich an dem Container
angebrachte Signatur mithin verloren gehen kann (vgl. Siegmund NJW 2017,
3134, 3135). Insoweit verhält es sich nicht anders als bei einer nicht unterschriebenen
Berufungsbegründungsschrift, die in den Gerichtsbriefkasten in
einem verschlossenen - aber nicht zur Akte genommenen - Briefumschlag eingeworfen
wird, der einen vom Prozessbevollmächtigten unterschriebenen Vermerk
trägt. Für diesen Fall hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass
ein solcher auf dem Umschlag aufgebrachter Vermerk die Unterschrift auf dem
bestimmenden Schriftsatz nicht ersetzen kann (BGH Beschluss vom 27. März
1980 - VII ZB 1/80 -
(b) Dem mit der Regelung verfolgten Ziel der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit
(vgl. BSG Beschluss vom 20. März 2019 - B 1 KR 7/18 B - juris
Rn. 6) würde es widersprechen, bei einer Aktenführung (auch) in Papierform
entgegen dem Wortlaut der Norm eine mehrere elektronische Dokumente umfassende
Container-Signatur ausreichen zu lassen. Der Absender elektronischer
Dokumente wäre nämlich nur dann in die Lage versetzt, formunwirksame
Übermittlungen zu vermeiden, wenn er Kenntnis von der Art der jeweiligen gerichtlichen
Aktenführung hätte. Zudem würden auf diese Weise Absender elekt-
ronischer Dokumente in Abhängigkeit davon ungleich behandelt, ob das empfangende
Gericht elektronische oder (auch) Papier-Akten führt (vgl. BSG NJW
2018, 2222 Rn. 6). Im Übrigen würde die Befugnis des Gesetzgebers, Prozessordnungen
so auszugestalten, dass sie neben dem Individualrechtsschutz zugleich
auch der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit Rechnung tragen, in Frage
gestellt, wenn Gerichte gestützt auf normtextlich nicht fixierte Motivlagen des
Gesetzesgebers in eine jeweils einzelfallbezogene Prüfung der Anwendbarkeit
von Rechtsnormen eintreten dürften. Rechtsnormen sind wegen ihres Rechtssatzcharakters
typischerweise genereller Natur und erheben deshalb einen gerade
einzelfallunabhängigen Geltungsanspruch (BVerwG
Rn. 8).
(c) Die Regelung beschränkt den Zugang zu Gericht auch nicht unzumutbar
und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem in
Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Justizgewährungsanspruch vereinbar. Den
Rechtssuchenden stehen zumutbare andere Übermittlungswege wie unter anderem
der Versand des mit einer qeS versehenen elektronischen Dokuments
an das EGVP zur Verfügung (vgl. BSG Beschluss vom 20. März 2019
- B 1 KR 7/18 B - juris Rn. 6; BAG
2018, 1880 Rn. 8).
c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, gemäß § 130 a
Abs. 6 Satz 2 ZPO sei selbst bei Annahme einer formunwirksamen Berufungseinlegung
Heilung eingetreten. Dabei kann dahinstehen, ob diese Bestimmung
bei einem Verstoß gegen § 4 Abs. 2 ERVV einschlägig ist (dies verneinend etwa
BSG Beschluss vom 20. März 2019 - B 1 KR 7/18 B - juris Rn. 7 f.; BAG
beinhaltende elektronische Dokument nicht mit einer qeS nachgereicht, sondern
in ihrem Wiedereinsetzungsantrag und mithin durch ein neues Dokument
erklärt, Berufung einzulegen. Hierfür gilt die Zugangsfiktion des § 130 a Abs. 6
Satz 2 ZPO nicht, weil die Vorschrift eng auszulegen ist (vgl. Senatsbeschluss
vom 8. Mai 2019 - XII ZB 8/19 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht die Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand der Berufungsfrist abgelehnt.
a) Die Fristversäumung war nicht unverschuldet im Sinne des § 233
ZPO, weil die Beklagte sich den Rechtsirrtum ihres Prozessbevollmächtigten
gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist regelmäßig nicht unverschuldet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt
die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung
kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund
nur dann in Betracht kommen, wenn der Verfahrensbevollmächtigte
die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat,
um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger
Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Verfahrensführung
überträgt, darf darauf vertrauen, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist.
Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren
Weg wählen. Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich
anhand einschlägiger Fachliteratur über den aktuellen Stand der Rechtsprechung
informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine
vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit
verlangt. Ein Rechtsirrtum ist jedoch ausnahmsweise als entschuldigt
anzusehen, wenn er auch unter Anwendung der erforderlichen Sorgfaltsanforderungen
nicht vermeidbar war (Senatsbeschluss vom 11. März 2015
- XII ZB 572/13 -
Der vorliegende Irrtum war nicht unvermeidbar in diesem Sinne. Wie das
Oberlandesgericht zutreffend ausführt, war bereits Ende 2017 über den bevorstehenden
Ausschluss der Container-Signatur in der einschlägigen Fachliteratur
berichtet worden (vgl. etwa Müller
3134, 3135). Dass ihr Prozessbevollmächtigter gleichwohl auf den Beschluss
des Oberlandesgerichts Brandenburg (
auf das anwaltliche Haftungsrisiko hinweisender Anmerkung von Müller)
vertraut hätte, macht die Beklagte schon nicht geltend. Im Übrigen war diese
Entscheidung mit Blick auf ihre vom Regelungswortlaut abweichende Auslegung
sowie auf die damals bereits veröffentlichte Kommentarliteratur (vgl. etwa
BeckOK ZPO/von Selle [Stand: 1. März 2018] § 130 a Rn. 15; Musielak/Voit/
Stadler ZPO 15. Aufl. [2018] § 130 a Rn. 5) nicht geeignet, ein Vertrauen des
Rechtsanwalts darauf zu begründen, dass sich ihr auch andere Rechtsmittelgerichte
anschließen würden.
Soweit sich die Beklagte ohne weitere Substanziierung und ohne Bezug
zum hiesigen Berufungsgericht darauf beruft, ihr Prozessbevollmächtigter habe
auch nach dem 1. Januar 2018 in einer Vielzahl von Verfahren mit Billigung
sämtlicher damit befasster Gerichte Container-Signaturen verwendet, ist das
nicht geeignet, ein Verschulden im Sinne des § 233 ZPO auszuräumen. Denn
es ist damit nicht dargetan, dass die irrige Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten
durch das Gericht veranlasst und so ein Vertrauenstatbestand
geschaffen worden ist, der eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnte (vgl.
dazu BGH Beschluss vom 26. März 1996 - VI ZB 1/96 und 2/96 - NJW 1996,
1900, 1901; BVerfG
b) Ob das Oberlandesgericht im Rahmen seiner gerichtlichen Fürsorgepflicht
die Beklagte im gewöhnlichen Geschäftsgang auf den Formmangel hätte
hinweisen müssen und ein Verstoß gegen diese Hinweispflicht eine Wiedereinsetzung
unabhängig vom Verschulden der Partei begründen könnte (vgl. BSG
Beschlüsse vom 20. März 2019 - B 1 KR 7/18 B - juris Rn. 9 f. und NJW 2018,
2222 Rn. 10 f.), bedarf hier keiner Entscheidung. Da die Berufung am letzten
Tag der Berufungsfrist eingelegt wurde, wäre die Fristversäumnis auch dann
eingetreten, wenn das Oberlandesgericht den Formfehler im gewöhnlichen Geschäftsgang
bemerkt und auf ihn hingewiesen hätte.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:15.05.2019
Aktenzeichen:XII ZB 573/18
Rechtsgebiete:Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Erschienen in:NJW 2019, 2230-2233
Normen in Titel:ZPO §§ 130 Nr. 6, 130a; ERVV § 4