OVG Rheinland-Pfalz 14. Juli 2020
6 A 11666/19
ABS § 3 Abs. 1; KAG § 10a Abs. 1 S. 1 u. 2

Anforderungen an eine zusammenhängende Bebauung bei Außenbereichsflächen zwischen den bebauten Flächen

letzte Aktualisierung: 4.11.2020
OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14.7.2020 – 6 A 11666/19

ABS § 3 Abs. 1; KAG § 10a Abs. 1 S. 1 u. 2
Anforderungen an eine zusammenhängende Bebauung bei Außenbereichsflächen zwischen
den bebauten Flächen

1. Von einer zusammenhängenden Bebauung, die die Bildung einer einheitlichen öffentlichen
Einrichtung von Anbaustraßen ermöglicht, kann nicht gesprochen werden, wenn
Außenbereichsflächen von mehr als nur unbedeutendem Umfang zwischen den bebauten Gebieten
liegen. Dies ist der Fall bei Außenbereichsflächen, die sich auf mehr als einem Kilometer zwischen
den bebauten Bereichen erstrecken. Einen nur unbedeutenden Umfang haben hingegen
Außenbereichsflächen, bei denen die Entfernung zwischen den bebauten Flächen dem Ausmaß
weniger Baulücken entspricht.
2. Außenbereichsflächen von mehr als nur unbedeutendem Umfang oder diesen ähnliche größere
unbebaubare Flächen haben unabhängig davon eine trennende Wirkung, ob sie ohne ins Gewicht
fallende Wartezeiten oder andere Hindernisse – beispielsweise über eine Straße – überwunden
werden können.
3. Eine Außenbereichsfläche von nur unbedeutendem Umfang trennt eine zusammenhängende
Bebauung auch dann nicht, wenn es an einer rechtlich gesicherten Querungsmöglichkeit der
Außenbereichsfläche fehlt.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Beitragsbescheid
der Beklagten vom 15. August 2017 sowie der Widerspruchsbescheid
vom 31. Juli 2018 rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten
verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge der Beklagten verstößt mit
der Bildung der einheitlichen öffentlichen Einrichtung sämtlicher Anbaustraßen des
Gemeindegebiets (§ 3 Abs. 1 ABS) nicht gegen die Bestimmung des § 10a Abs. 1
des Kommunalabgabengesetzes vom 20. Juni 1995 (GVBl. S. 175) in der hier noch
anwendbaren Fassung vom 22. Dezember 2015 (GVBl. S. 472) – KAG –, die nach
Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juni 2014 ( ‒
1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10 ‒ BVerfGE 137, 1 = NVwZ 2014, 1448) verfassungskonform
auszulegen ist.

1. Gemäß § 10a Abs. 1 Sätze 1 und 2 KAG können die Gemeinden durch Satzung
bestimmen, dass die jährlichen Investitionsaufwendungen für Verkehrsanlagen
nach Abzug des Gemeindeanteils als wiederkehrender Beitrag auf die Grundstücke
verteilt werden, die die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Zufahrt oder
eines Zugangs zu einer Straße haben, die zu der aus sämtlichen zum Anbau bestimmten
Verkehrsanlagen des gesamten Gebiets oder einzelner, voneinander abgrenzbarer
Gebietsteile der Gemeinde bestehenden einheitlichen öffentlichen Einrichtung
gehört.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 25. Juni 2014
(a. a. O., Rn. 46, 55) entschieden, dass die Heranziehung zu wiederkehrenden Beiträgen
für den Ausbau einer Straße als Teil einer einheitlichen öffentlichen Verkehrseinrichtung
nur für diejenigen Grundstücke in Betracht kommt, die von dieser
einen jedenfalls potentiellen Gebrauchsvorteil haben, bei denen sich also der Vorteil
der Möglichkeit der Nutzung der ausgebauten Straßen als Lagevorteil auf den Gebrauchswert
des Grundstücks auswirkt. Der beitragspflichtige Vorteil liegt danach in
der Möglichkeit der besseren Erreichbarkeit der beitragspflichtigen Grundstücke
und der besseren Nutzbarkeit des Gesamtverkehrssystems sowie dessen Aufrechterhaltung
und Verbesserung als solchem (BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014,
a. a. O., Rn. 58). Der Satzungsgeber muss deshalb bei der Ausübung seines Gestaltungsermessens
über die Festlegung abgrenzbarer Gebietsteile (vgl. § 10a
Abs. 1 Satz 4 KAG) darauf achten, dass die dort liegenden Grundstücke einen solchen
konkret zurechenbaren Vorteil von dem Ausbau und der Erhaltung einer Verkehrsanlage
haben (BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014, a. a. O., Rn. 63 f.). Die
Voraussetzung eines konkret zurechenbaren Vorteils aufgrund einer ausreichend
engen "Vermittlungsbeziehung" zwischen den eine einheitliche öffentliche Einrichtung
bildenden Verkehrsanlagen hinsichtlich des Anschlusses an das übrige Straßennetz
(BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014, a. a. O., Rn. 58) bedeutet danach
für Großstädte und Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet im Allgemeinen
die Notwendigkeit zur Bildung mehrerer einheitlicher öffentlicher Einrichtungen von
Anbaustraßen (BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014, a. a. O., Rn. 62). In kleinen
Gemeinden – insbesondere solchen, die nur aus einem kleinen, zusammenhängend
bebauten Ort bestehen – werden sich hingegen einheitliche öffentliche Einrichtung
und Gemeindegebiet häufig decken (BVerfG, Beschluss vom 25. Juni
2014, a. a. O., Rn. 64). Ob die herangezogenen Grundstücke einen konkret zurechenbaren
Vorteil von dem Ausbau und der Erhaltung einer Verkehrsanlage haben,
hängt nicht von der politischen Zuordnung eines Gebiets, sondern vor allem von
den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ab, etwa der Größe, der Existenz eines
zusammenhängenden bebauten Gebiets, der Topografie wie der Lage von Bahnanlagen,
Flüssen und größeren Straßen oder der typischen tatsächlichen Straßennutzung
(BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014, a. a. O., Rn. 64).

a) Von einer zusammenhängenden Bebauung in diesem Sinn ist nicht auszugehen,
wenn Außenbereichsflächen von mehr als nur unbedeutendem Umfang zwischen
den bebauten Gebieten liegen (OVG RP, Urteil vom 30. Juni 2015 – 6 A
11016/14.OVG –, NVwZ-RR 2015, 875 = KStZ 2015, 213). Solche Außenbereichsflächen
oder diesen ähnliche größere unbebaubare Flächen (vgl. OVG RP, Urteil
vom 9. Juli 2018 − 6 C 11654/17.OVG −) haben unabhängig davon eine trennende
Wirkung, ob sie ohne ins Gewicht fallende Wartezeiten oder andere Hindernisse
überwunden werden können (hierzu OVG RP, Urteil vom 23. August 2017 – 6 A
10945/17.OVG –).

Nach der Senatsrechtsprechung kann von Außenbereichsflächen untergeordneten
Ausmaßes bei Baulücken, die einen zusammenhängend bebauten Bereich im Allgemeinen
nicht trennen (vgl. OVG RP, Urteil vom 30. Juni 2015 – 6 A
11016/14.OVG –, KStZ 2015, 213: vier unbebaute Baugrundstücke), gesprochen
werden, nicht jedoch beispielsweise bei Außenbereichsflächen, die sich auf mehr
als einem Kilometer zwischen den bebauten Bereichen erstrecken (vgl. OVG RP,
Urteil vom 18. Oktober 2017 – 6 A 11862/16.OVG –, KStZ 2017, 236). Dabei ist in
beitragsrechtlicher Hinsicht allein die Entfernung zwischen den bebauten Flächen
ausschlaggebend, nicht aber, ob es sich insoweit bauplanungsrechtlich um eine
(bebaubare) Baulücke handelt, die den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit
eines Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Baugesetzbuch
– BauGB – nicht beseitigt. Was die Größe der Freifläche betrifft, weist die
(beitragsrechtliche) Abgrenzung zwischen Außenbereichsflächen untergeordneten
Ausmaßes von solchen mehr als untergeordneten Umfangs demnach rein tatsächlich
Parallelen auf zur (bauplanungsrechtlichen) Differenzierung zwischen Baulücken
einerseits und den Bebauungszusammenhang (§ 34 BauGB) aufhebenden
unbebauten Flächen andererseits (hierzu OVG RP, Urteil vom 13. April 2006 – 1 A
11260/05.OVG: Baulücke von einem oder zwei Grundstücken; VGH BW, Urteil vom
14. November 2006 – 5 S 330/06 –, BauR 2007, 1378: Baulücke von ca. drei Baugrundstücken;
OVG RP, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 8 C 10945/11.OVG –,
NVwZ-RR 2012, 289: Baulücke von höchstens 100 m).

b) Bei der Bildung von einheitlichen öffentlichen Einrichtungen von Anbaustraßen
hat eine Gemeinde des Weiteren zu berücksichtigen, dass Gebiete mit strukturell
gravierend unterschiedlichem Straßenausbauaufwand nur zu einer Abrechnungseinheit
zusammengeschlossen werden dürfen, wenn dies nicht zu einer Umverteilung
von Ausbaulasten führt, die auch bei großzügiger Pauschalierungsbefugnis mit
Rücksicht auf das Gebot der Belastungsgleichheit nicht mehr zu rechtfertigen ist
(BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014, a.a.O., Rn. 65). Dieses Kriterium des Bundesverfassungsgerichts
bezieht sich auf "strukturelle" Unterschiede einzelner Gebiete,
die sich beispielsweise in Baugebieten aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans
über die Art der baulichen Nutzung, über Straßenbreiten und Parkflächen,
aber auch wegen eines einheitlichen Ausbauzustands aufgrund der ungefähr
gleichzeitigen Herstellung der Straßen ergeben können. Ein gravierend unterschiedlicher
Ausbaubedarf kann beispielsweise dadurch entstehen, dass Straßen
in schon länger bestehenden Baugebieten, deren übliche Nutzungsdauer abgelaufen
ist, einen akuten Erneuerungsbedarf aufweisen, während kürzlich erstmals hergestellte
Erschließungsanlagen in einem Neubaugebiet auf längere Sicht nicht erneuert
werden müssen (OVG RP, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 6 A
10853/14.OVG –, AS 43, 139 = KStZ 2015, 75). Dabei kann ein höherer Ausbauaufwand
in einem Gewerbegebiet durch die erhebliche Größe der dort liegenden
Grundstücke und den Gewerbezuschlag ausgeglichen sein (vgl. OVG RP, Urteil
vom 4. Juni 2020 – 6 C 10719/19.OVG –).

Liegen Gebiete mit strukturell gravierend unterschiedlichem Straßenausbauaufwand
vor, kann außer der Bildung mehrerer öffentlicher Einrichtungen auch die Auf-
nahme einer Verschonungsregelung nach § 10a Abs. 5 Satz 1 KAG in die Beitragssatzung
in Betracht kommen, um eine gleichheitswidrige Verteilung von Ausbaulasten
zu verhindern (OVG RP, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 6 A 10853/14.OVG –
AS 43, 139 = KStZ 2015, 75).

2. Nach diesem Maßstab ist nicht zu beanstanden, dass der Rat der Beklagten nur
eine einzige einheitliche öffentliche Einrichtung sämtlicher zum Anbau bestimmter
Verkehrsanlagen im Gemeindegebiet gebildet hat.

a) Zwischen der Ortslage und dem Gewerbegebiet der Beklagten liegt zwar eine
Außenbereichsfläche im Übergangsbereich der K***straße zur Straße „Am K***“.
Diese Fläche hat in ihrer Tiefe aber nur einen unbedeutenden Umfang. Zwischen
dem nördlichsten bebauten Grundstück der Ortslage (Parzelle ***/*) und der südlichsten
Bebauung im Gewerbegebiet (Parzelle **/*) liegen – ermittelt mit dem
GeoPortal-Messtool – ungefähr 65 m. Auf der östlichen Seite dieser Straße(n) beträgt
der Abstand zwischen den bebauten Grundstücken ungefähr 150 m; angesichts
der in diesem Bereich vorherrschenden Bauweise könnten – wenn dies baurechtlich
zulässig wäre – allenfalls drei Bauvorhaben verwirklicht werden.

Dabei ist nicht von entscheidender Bedeutung, dass die Straße „Am K***“ nicht
durchgängig bis zum Übergang in die K***straße dem öffentlichen Verkehr gewidmet
ist. Denn solche Querungsmöglichkeiten spielen nur bei der Frage eine Rolle,
ob eine Zäsur wie beispielsweise eine breite Straße oder ein Fluss ungehindert
überwunden werden kann (vgl. hierzu OVG RP, Urteil vom 4. Juni 2020 – 6 C
10927/19.OVG –, juris). Erstreckt sich hingegen eine Außenbereichsfläche von
mehr als nur unbedeutendem Umfang zwischen bebauten Gebieten einer Gemeinde,
kann von einer zusammenhängenden Bebauung auch dann nicht gesprochen
werden, wenn diese Gebiete durch eine Straße verbunden sind (hierzu OVG
RP, Urteil vom 18. Oktober 2017 − 6 A 11862/16.OVG −, KStZ 2017, 236). Das
Fehlen einer rechtlich gesicherten Querungsmöglichkeit einer Außenbereichsfläche
von nur unbedeutendem Umfang ist für die Frage des Vorliegens einer zusammenhängenden
Bebauung ebenfalls irrelevant.

Da mithin eine in beitragsrechtlicher Hinsicht zusammenhängende Bebauung vorliegt,
muss nicht erörtert werden, ob eine solche ausnahmsweise aufgrund der typischen
tatsächlichen Straßennutzung angenommen werden kann (vgl. OVG RP, Urteil
vom 24. Februar 2016 – 6 A 11031/15.OVG –, KStZ 2016, 130) und welche
Bedeutung die Erreichbarkeit des Gewerbegebiets über die M*** Straße hat.
b) Die Bildung einer einzigen einheitlichen öffentlichen Einrichtung der Anbaustraßen
führt ferner nicht wegen eines strukturell gravierend unterschiedlichen Straßenausbauaufwands
zu einer Umverteilung von Ausbaulasten, die auch bei großzügiger
Pauschalierungsbefugnis mit Rücksicht auf das Gebot der Belastungsgleichheit
nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Ein gravierend unterschiedlicher Straßenausbauaufwand in diesem Sinn ist nicht
etwa deshalb zu Lasten der Grundstückseigentümer im Gewerbegebiet anzunehmen,
weil die dort gelegenen Grundstücke im Durchschnitt wesentlich größer als
diejenigen in Wohngebieten der Beklagten sind und in der Ortslage kostspieligere
Materialien beim Straßenausbau verwendet werden. Denn im Gewerbegebiet ist
wegen des Alters der dortigen Straßen in absehbarer Zeit mit einem Straßenausbau
zu rechnen, der mit Rücksicht auf den Schwerlastverkehr aufwendiger und in einer
größeren Breite als in der Ortslage zu erwarten sein dürfte. Auch die zusätzliche
Belastung der Grundstücke im Gewerbegebiet durch den Gewerbezuschlag löst
keine verfassungsrechtlich zu beanstandende Umverteilung von Ausbaukosten
aus. Denn davon kann nach der Senatsrechtsprechung (Urteil vom 18. Oktober
2017 – 6 A 11881/16.OVG –, KStZ 2018, 37) nicht die Rede sein, wenn aufgrund
staatlicher und EU-Förderung in einem Gewerbegebiet die Beteiligung der Grundstückseigentümer
an den Herstellungskosten der Straßen deutlich geringer ausfiel
als bei anderen Neubaugebieten. Dass solche Umstände hinsichtlich des Gewerbegebiets
K*** gegeben sind, ist in dem angefochtenen Urteil – dem Widerspruchsbescheid
folgend – ausführlich begründet worden. Dem schließt sich der Senat an
und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 130b
Satz 2 VwGO ab, zumal der Kläger dieser Begründung im Berufungsverfahren nicht
entgegengetreten ist. Sein Hinweis auf die unterschiedlich hohen Grundstückspreise
im Gewerbegebiet einerseits und in der Ortslage andererseits ist für die Einschätzung
des Straßenausbauaufwands ohne Belang; von den Grundstückswerten
hängt dieser nicht ab.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167
VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Revisionszulassungsgründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art liegen nicht
vor.

B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 4.651,74 €
festgesetzt (§§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 GKG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OVG Rheinland-Pfalz

Erscheinungsdatum:

14.07.2020

Aktenzeichen:

6 A 11666/19

Rechtsgebiete:

Öffentliches Baurecht
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

ABS § 3 Abs. 1; KAG § 10a Abs. 1 S. 1 u. 2