Kammergericht 03. Juli 2023
1 W 2/23
GBO § 35

Nachweis der Erbfolge durch beglaubigte Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses

letzte Aktualisierung: 5.9.2023
KG, Beschl. v. 3.7.2023 – 1 W 2/23

GBO § 35
Nachweis der Erbfolge durch beglaubigte Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses

Der Nachweis der Erbfolge kann gegenüber dem Grundbuchamt mit der beglaubigten Abschrift
eines Europäischen Nachlasszeugnisses geführt werden. Die formellen Voraussetzungen an eine
solche beglaubigte Abschrift folgen aus dem Unionsrecht. Das nationale (Grundbuch-)Recht
gebietet keine strengeren Anforderungen.

Gründe

I.
Die in Abt. I lfd. Nr. 1 je zur Hälfte eingetragenen Eigentümer, die Eltern der Beteiligten, sind
am 11. August 2021 bzw. am 23. Februar 2022 verstorben. Das Amtsgericht Wedding erteilte
der Beteiligten am 14. Oktober 2022 ein Europäisches Nachlasszeugnis, das ihre Mutter als
Erbin ihres Vaters ausweist – 60 VI 1349/21 –. Ein weiteres Europäisches Nachlasszeugnis des
Amtsgerichts Wedding vom selben Tag weist die Beteiligte als Erbin ihrer Mutter auf – 60 VI
1023/22 –.
Die Beteiligte hat unter Beifügung durch das Nachlassgericht gefertigter beglaubigter
Abschriften der beiden Europäischen Nachlasszeugnisse bei dem Grundbuchamt die
Berichtigung des Grundbuchs beantragt. Mit Zwischenverfügung vom 22. November 2022 hat
das Grundbuchamt unter Fristsetzung die Form der eingereichten Europäischen
Nachlasszeugnisse beanstandet. Diese seien je „urkundlich zu verbinden“. Hiergegen richtet sich
die Beschwerde vom 19. Dezember 2022, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 22.
9. Dezember 2022 nicht abgeholfen hat.

II.
1. Die im Namen der Beteiligten erhobene Beschwerde ist zulässig, § 71 Abs. 1 GBO, und hat
auch in der Sache Erfolg. Das von dem Grundbuchamt aufgezeigte Eintragungshindernis
besteht nicht, so dass kein Anlass für den Erlass der angefochtenen Zwischenverfügung
bestand, § 18 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GBO. Diese ist folglich aufzuheben.

2. Der Nachweis der Erbfolge kann gegenüber dem Grundbuchamt nur durch einen Erbschein
oder ein Europäisches Nachlasszeugnis geführt werden, § 35 Abs. 1 S. 1 GBO. Dabei ist dem
Grundbuchamt der Erbschein entweder in Urschrift oder Ausfertigung vorzulegen (BGH, MDR
1982, 308). Der Ausfertigung eines Erbscheins entspricht die nach Art. 70 Abs. 1 Verordnung
(EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die
Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen
sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) dem Antragsteller
auszustellende beglaubigte Abschrift der bei dem Nachlassgericht verbleibenden Urschrift des
Europäischen Nachlasszeugnisses (BR-Drs 644/14, S. 56).

Solche beglaubigten Abschriften hat die Beteiligte zum Nachweis der Erbfolge nach ihren Eltern
vorgelegt.

a) Bei der beglaubigten Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses handelt es sich um
eine sonstige Eintragungsvoraussetzung im Sinne von § 29 Abs. 1 S. 2 GBO (Hertel, in: Meikel,
GBO, 12. Aufl., § 29, Rdn. 510.2). Welche Förmlichkeiten bei der Ausstellung der Urkunde zu
beachten sind, ist nicht in der Grundbuchordnung geregelt, sondern richtet sich nach den für die
Erteilung des Zeugnisses maßgeblichen Vorschriften (OLG München, FGPrax 2019, 200, 201).
Die sind vorliegend aber eingehalten worden.

Das für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses zuständige Nachlassgericht, Art.
64, 3 Abs. 2 EuErbVO, § 34 Abs. 4 S. 2 IntErbRVG, hat das Formblatt V in Anhang 5 der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9. Dezember 2014 zur
Festlegung der Formblätter nach Maßgabe der EuErbVO (EuErbVO-DVO) zu verwenden,
Art. 1 Abs. 5 EuErbVO-DVO, 67 Abs. 1 S. 2, 81 Abs. 2 EuErbVO. Das ist vorliegend
geschehen. Beide beglaubigten Abschriften der Europäischen Nachlasszeugnisse entsprechen
dem Formblatt V, insbesondere sind die Beglaubigungsvermerke auf S. 7 unterschrieben und
mit dem Siegel des Nachlassgerichts versehen worden.

Die Vollständigkeit der – nach dem Formblatt V immer aus einer Mehrzahl von Blättern
bestehenden – beglaubigten Abschrift des europäischen Nachlasszeugnisses ergibt sich aus den
auf Seite 1 bezeichneten Anlagen, der fortlaufende Paginierung der einzelnen Seiten sowie der
Angabe ihrer Gesamtzahl auf Seite 7 (Krause/Weber, in: Meikel, a.a.O., § 35, Rdn. 58.1).
Darüber hinaus sind die einzelnen Blätter der Zeugnisse mittels Heftung miteinander verbunden
worden. Damit kann die Rechtsnachfolge nach den verstorbenen Eigentümern des Grundstücks
– formell – nachgewiesen werden, §§ 35 Abs. 1 S. 1, 29 Abs. 1 S. 2 GBO.

b) Der von dem Grundbuchamt geforderten „urkundlichen Verbindung“ der einzelnen Blätter
bedarf es nicht.

aa) Für dieses – offenbar auf eine über die vorhandene Heftung hinausgehende physikalische
Verbindung gerichtete, vgl. § 44 BeurkG - Verlangen besteht keine Rechtsgrundlage. Zutreffend
weist die Beschwerde darauf hin, dass insbesondere die Regelungen des Beurkundungsgesetzes
keine Anwendung finden. Die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes gelten für andere
Urkundspersonen als Notare oder sonstige Stellen nur dann, wenn auch ein Notar die Urkunde
hätte errichten könnte, § 1 Abs. 2 BeurkG (OLG München, a.a.O., 202; Armbrüster/Preuß,
BeurkG, 9. Aufl., § 1 BeurkG, Rdn. 21). Das ist bei der Ausstellung eines Europäischen
Nachlasszeugnisses nicht der Fall, § 34 Abs. 4 S. 1 IntErbRVG.

bb) Dabei kann der Zweck des Europäischen Nachlasszeugnisses auch nicht außer Acht
gelassen werden. Das Zeugnis dient in erster Linie der Verwendung in einem anderen
Mitgliedstaat als dem, in welchem das Zeugnis erteilt wurde, Art. 63 Abs. 1 EuErbVO. Dann
müssen sich die auf das Zeugnis anzuwendenden Formalien aber einheitlich nach dem
Europäischen Recht richten (vgl. EuGH, FamRZ 2023, 881, 884). Dem widerspräche es, wenn
bei der - auch zulässigen, Art. 69 Abs. 1 EuErbVO - Verwendung im Mitgliedstaat der
Ausstellungsbehörde, strengere Anforderungen an die Form gestellt würden. Dies könnte u.U.
auf Bedenken bei der Verwendung in den anderen Mitgliedstaaten stoßen.

cc) Schließlich verlangt aber auch das nationale Recht außerhalb des Beurkundungsgesetzes
weder bei der Beglaubigung noch bei der Ausfertigung einer aus mehreren Blättern bestehenden
Urkunde eine über die vorhandene Heftung hinausgehende Verbindung der einzelnen Blätter.
So genügt es bei der Beglaubigung wie bei der Ausfertigung, dass sich die anzubringenden
Vermerke, vgl. etwa §§ 169 Abs. 2 S. 1, 317 Abs. 4 ZPO, unzweideutig auf das gesamte
Schriftstück erstrecken und mit diesem zu einer Einheit verbunden sind (BGH, NJW 2017,
3721, 3722). Dafür genügt regelmäßig ein auf der letzten Seite angebrachter Vermerk und eine
physikalische Verbindung der einzelnen Blätter, die als dauernd gewollt erkennbar und nur
durch Gewaltanwendung zu lösen ist (BGH, NJW 2004, 506, 507). Das ist bei einer Verbindung
mittels Heftklammer der Fall (BGH, NJW 1974, 1383, 1384).

Dem entsprechen die hier vorgelegten beglaubigten Abschriften der Europäischen
Nachlasszeugnisse. Sie sind – am Schluss des Formblatt V - mit dem Siegel des Nachlassgerichts
versehen, von dessen Rechtspflegerin unterschrieben sowie geheftet.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

Kammergericht

Erscheinungsdatum:

03.07.2023

Aktenzeichen:

1 W 2/23

Rechtsgebiete:

Beurkundungsverfahren
Grundbuchrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

Rpfleger 2023, 472-473

Normen in Titel:

GBO § 35