Nachfolgend finden Sie eine
Auswahl der wichtigsten in der vergangenen Woche in die Datenbank
DNotI-Online-Plus eingestellten Gerichtsentscheidungen,
Arbeitshilfen und Links.
Da instanzgerichtliche
Entscheidungen oftmals erst längere Zeit nach Verkündung
rechtskräftig werden oder uns erst mit einiger Verspätung bekannt
werden, weicht das Entscheidungsdatum ggf. deutlich vom Versanddatum
dieses Newsletters ab. Wir bitten insoweit um Verständnis.
Entscheidung der Woche
BauGB
§ 28 Abs. 1 S. 3
Vorkaufsrecht; Negativzeugnis; (kein) Prüfungsrecht der Gemeinde
bzgl. Wirksamkeit des Kaufvertrags
Steht einer Gemeinde
kein Vorkaufsrecht zu, kann sie die Ausstellung eines
Negativzeugnisses im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB nicht
mit der Begründung verweigern, der Kaufvertrag sei wegen eines
Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder wegen
Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) nichtig. Denn die
Gemeinde hat in diesem Fall kein über die Frage des Bestehens
eines Vorkaufsrechts nach den § 24, § 25 BauGB hinausgehendes
Recht, die Vereinbarkeit der vertraglichen Regelungen mit
anderen öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Vorgaben zu
prüfen.
VGH
Baden-Württemberg, Urt. v. 6.7.2022 – 5 S 2129/20
Immobilienrecht/allg. Zivilrecht
BGB
§§ 916, 917 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 2, 918 Abs. 1
Einräumung eines Notwegrechts auch bei technisch nicht herstellbarer Verbindung
1. Fehlt einem
bebauten Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige
Verbindung mit einem öffentlichen Weg deshalb, weil die in der
bestandskräftigen Baugenehmigung vorgesehene Zuwegung schon bei
der Bebauung technisch nicht herstellbar war oder jedenfalls
nicht (mehr) hergestellt werden kann, ist das Notwegrecht nicht
gemäß § 918 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
2. Wird durch den Notweg eine Dienstbarkeit an dem
Nachbargrundstück beeinträchtigt, muss der Eigentümer des
verbindungslosen Grundstücks die Duldung des Notwegs nicht nur
von dem Eigentümer des Nachbargrundstücks, sondern auch von dem
Dienstbarkeitsberechtigten verlangen.
3. Ob eine Zuwegung zu einem bebauten Grundstück den
Anforderungen an eine zur ordnungsmäßigen Grundstücksnutzung
notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg genügt,
beurteilt sich nach den aktuellen technischen und rechtlichen
Voraussetzungen und nicht nach den Gegebenheiten bei Erteilung
der Baugenehmigung.
BGH, Urt. v.
13.5.2022 – V ZR 4/21
NachbarG Bln § 16a Abs. 1
Anspruch auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung
a) Der gegen den
Nachbarn gerichtete Anspruch des Grundstückseigentümers aus §
16a NachbarG Bln auf Duldung einer grenzüberschreitenden
Wärmedämmung hat einzig zur Voraussetzung, dass die Überbauung
zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, an der
Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt. Einschränkungen
des Duldungsanspruchs, wie sie die Nachbarrechtsgesetze anderer
Bundesländer enthalten, können der Regelung nicht unter
Rückgriff auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ oder im Wege der
verfassungskonformen Auslegung entnommen werden.
b) Zur materiellen Verfassungsmäßigkeit von § 16a NachbarG Bln.
BGH, Urt. v.
1.7.2022 – V ZR 23/21
ZPO § 287 Abs. 1; BGB §§ 280, 281, 437 Nr. 3
Kaufvertraglicher Schadensersatzanspruch; Bemessung mithilfe
fiktiver Mängelbeseitigungskosten
Wird der
kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung
(kleiner Schadensersatz) gemäß § 437 Nr. 3, §§ 280, 281 BGB
anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht
aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten bemessen,
hat das Gericht eine Schadensermittlung nach den Grundsätzen des
§ 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen und insoweit zu prüfen, in welcher
Höhe ein Schaden überwiegend wahrscheinlich ist; das gilt auch
und gerade dann, wenn in einem Sachverständigengutachten eine
Schätzungsbandbreite (hier: +/- 30 %) genannt wird.
BGH, Urt. v. 11.3.2022 – V ZR 35/21
Gesellschaftsrecht
GG
Art. 19 Abs. 4 S. 1; VwGO §§ 42 Abs. 2, 43 Abs. 1 u. 2 S. 1; StiftG
BW §§ 1 Abs. 1, 8 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1; BGB §§ 29, 86 S. 1
Kein Notklagerecht Stiftungsinteressierter
1. Das Mitglied des
Aufsichtsrates einer Stiftung, welches die Wirksamkeit der
Aufhebung der Stiftung bestreitet, ist nach dem geltenden
Stiftungsaufsichtsrecht nicht klagebefugt, gerichtlich
feststellen zu lassen, dass die Rechtsaufsicht der
Stiftungsbehörde über die Stiftung fortbesteht.
2. Das geltende Stiftungsaufsichtsrecht kennt kein sogenanntes
(öffentlich-rechtliches) Notklagerecht Stiftungsinteressierter.
3. Ein Verständnis des § 8 Abs. 1 Satz 1 StiftG in Anlehnung an
die Grundsätze der actio pro socio im Sinne einer gesetzlichen
Prozessstandschaft der Nachkommen des verstorbenen Stifters für
die aufgehobene Stiftung überschreitet die Grenzen einer
zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung.
4. Das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes
(Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) verlangt nicht, eine (geeignete)
bundes- oder landesgesetzliche Bestimmung im Sinne einer
gesetzlichen Regelung einer Prozessstandschaft gemäß § 42 Abs. 2
1. Hs. VwGO auszulegen oder anzuwenden.
5. Gegen die Aufhebung einer Stiftung hat vorrangig die Stiftung
selbst um gerichtlichen Rechtsschutz zu ersuchen.
VGH
Baden-Württemberg, Urt. v. 21.6.2022 – 1 S 1865/20
SGG
§§ 54 Abs. 1, 70 Nr. 1; FamFG § 394 Abs. 1 S. 1; GmbHG § 60 Abs. 1
Nr. 7; SGB X §§ 10 Nr. 1, 12 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 2
Keine Beteiligungsfähigkeit einer GmbH bei Löschung wegen Vermögenslosigkeit
Eine wegen
Vermögenslosigkeit vor Klageerhebung gegen einen
Betriebsprüfungsbescheid gelöschte GmbH ist nach § 70 Nr. 1 SGG
nicht mehr beteiligungsfähig. Mit dem Entfallen der
Rechtsfähigkeit der GmbH hat sich der ihr gegenüber zuvor
ergangene Betriebsprüfungsbescheid auf sonstige Weise erledigt.
LSG
Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.6.2022 – L 28 BA 29/19
|