02. Juni 2023
BGB § 1638

Entzug der Vermögensverwaltung bei unentgeltlichen Zuwendungen auf den Todesfall

BGB § 1638
Entzug der Vermögensverwaltung bei unentgeltlichen Zuwendungen auf den Todesfall

I. Sachverhalt
§ 1638 BGB regelt in seiner seit dem 1.1.2023 geltenden Neufassung nunmehr, dass auch ein Entzug der Vermögensverwaltung bei unentgeltlichen Zuwendungen auf den Todesfall möglich ist. Eine Mutter bestimmt bei Abschluss eines Versicherungsvertrags, dass die Bezugsberechtigte im Todesfall ihre Tochter sein soll. Später lässt sie sich von ihrem Ehemann, dem Vater der Tochter, scheiden und möchte nun verhindern, dass für den Fall ihres vorzeitigen Ablebens der Vater die Vermögensverwaltung über das Vermögen der Tochter innehat, das der Tochter aus dem Versicherungsvertrag zufallen würde.

II. Frage
Zu welchem Zeitpunkt ist eine solche Anordnung zu treffen? Kann eine solche nur direkt bei der Bestimmung der Bezugsberechtigung bei einer Versicherung oder Bank getroffen werden oder kommt eine Anordnung des Entzugs der Vermögensverwaltungsbefugnis auch nachträglich noch im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen in Betracht, wenn ein Widerruf der Bezugsberechtigung insgesamt nicht gewollt ist?

III. Zur Rechtslage
1. Inhaltliche Neufassung des § 1638 BGB im Rahmen der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts
Durch die umfassende Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 wurden die betroffenen Rechtsgebiete neu strukturiert und viele Gesetzesbestimmungen auch inhaltlich neu gefasst. Die Möglichkeit der Beschränkung der Vermögenssorge nach § 1638 BGB wurde im Rahmen der Reform grundsätzlich beibehalten, Abs. 1 der Vorschrift aber neu gefasst wie folgt [Änderung hervorgehoben]:

„(1) Die Vermögenssorge erstreckt sich nicht auf das Vermögen, welches das Kind von Todes wegen, durch unentgeltliche Zuwendung auf den Todesfall oder unter Lebenden erwirbt, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Zuwendende bei der Zuwendung bestimmt hat, dass die Eltern das Vermögen nicht verwalten sollen.“

Die Ausschließungsmöglichkeit wurde damit tatbestandlich ausgeweitet auf Vermögen, welches das Kind nicht nur von Todes wegen oder unter Lebenden, sondern auch durch unentgeltliche Zuwendung auf den Todesfall erwirbt. Entsprechende Änderungen sind auch im Rahmen der möglichen Verwaltungsanordnungen für ererbtes und geschenktes Vermögen erfolgt (vgl. §§ 1639, 1811, 1837 BGB n. F.; Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667). Der Gesetzgeber will mit diesen Änderungen erreichen, dass künftig auch unentgeltliche Zuwendungen auf den Todesfall, die im Rahmen von Verträgen zugunsten Dritter (d. h. des Minderjährigen/Mündels/Betreuten) erfolgen, in den Anwendungsbereich der oben genannten Vorschriften fallen und z. B. der Betreuer nach § 1837 Abs. 2 BGB n. F. ggf. nach Eintritt des Erbfalls auch hiervon abweichen kann (vgl. BT-Drucks. 19/24445, 270; Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667). Gemeint sind hiermit die klassischen Zuwendungen auf den Todesfall mithilfe eines Vertrages zugunsten Dritter, wie z. B. Zuwendung eines Bankguthabens oder einer Lebensversicherungssumme auf den Todesfall (vgl. Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667; vgl. auch BeckOK-BGB/Veit, Std.: 1.1.2023, § 1638 Rn. 5).

Warum der Gesetzgeber davon ausging, dass solche Zuwendungen bislang tatbestandlich nicht erfasst wären und demzufolge eine Ausweitung des Tatbestands erforderlich sei, erschließt sich nicht unmittelbar (vgl. Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667 Fn. 11). Denn bei den „unentgeltlichen Zuwendungen auf den Todesfall“ handelt es sich nach hiesiger Auffassung um einen – bislang schon explizit erfassten – unentgeltlichen Vermögenserwerb „unter Lebenden“, da ihm ein lebzeitiges Rechtsgeschäft zugrunde liegt, auch wenn der Anspruch vom Begünstigten selbst erst im Todesfall erworben wird, § 331 BGB (vgl. Müller-Engels, ErbR 2022, 666, 667 Fn. 11; OLG Frankfurt/M. BeckRS 2015, 7245 Rn. 11; vgl. zur Abgrenzung zum Erwerb von Todes wegen auch OLG Naumburg WM 2004, 830, 830).

Auch in der bisherigen Kommentarliteratur war anerkannt, dass z. B. die Bestimmung des Bezugsberechtigten aus einer Lebensversicherung auf den Todesfall als Vertrag zugunsten Dritter eine unentgeltliche Zuwendung nach § 1638 Abs. 1 Var. 2 BGB a. F. (nicht § 1638 Abs. 1 Var. 1 BGB a. F.) ist, ohne dass insoweit zwischen widerruflicher und unwiderruflicher Bezugsberechtigung i. S. d. § 159 VVG differenziert wurde (s. nur BeckOGK-BGB/Kerscher, Std.: 1.9.2022, § 1638 Rn. 8.1; MünchKommBGB/Huber, 8. Aufl. 2020, § 1638 Rn. 4; Staudinger/Heilmann, BGB, 2016, § 1638 Rn. 15).
Mit der Neufassung des § 1638 BGB ist nun jedenfalls zweifelsfrei festgehalten, dass auch bei unentgeltlichen Zuwendungen auf den Todesfall ein Ausschluss der elterlichen Vermögensverwaltung durch den Erblasser zulässig ist. Die Frage, wann dieser Ausschluss zu erfolgen hat, ob dies insbesondere bei Abschluss des Vertrages zugunsten Dritter bzw. Einräumung des Bezugsrechts zu erfolgen hat oder bei Zustandekommen des Schenkungsvertrages (Valutaverhältnis), ist aber im Rahmen der Reform nicht explizit erörtert worden, und zwar weder in der Gesetzesbegründung noch in der Reformliteratur. Es kann jedoch an den bisherigen Stand der Diskussion angeknüpft werden.

2. Bisheriger Streitstand: Maßgeblicher Zeitpunkt für Anordnung
Bei einer Zuwendung unter Lebenden ist die Ausschließung des Verwaltungsrechts der Eltern nur zulässig, wenn die Zuwendung unentgeltlich erfolgt (Staudinger/Heilmann, § 1638 Rn. 14). Außerdem muss der Verwaltungsausschluss – anders als bei Erwerben von Todes wegen – gerade bei der Zuwendung angeordnet werden (Staudinger/Heilmann, § 1638 Rn. 13). Eine nach (und nach h. M. auch vor) der Zuwendung erfolgende Anordnung ist nach h. A. wirkungslos (BayObLGZ 6, 553, 558; KG FamRZ 1962, 432, 435; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2015, 7245; Staudinger/Heilmann, § 1638 Rn. 14; BeckOGK-BGB/Kerscher, § 1638 Rn. 13.1).

Weiter ist zu beachten, dass die Rechtsprechung unter referierender Zustimmung der Literatur wiederholt als relevante Zuwendung für § 1638 Abs. 1 BGB bereits die Einräumung der – auch widerruflichen – Bezugsberechtigung angesehen hat; auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des im Valutaverhältnis zwischen Versprechensempfänger und Dritten zugrunde liegenden Schenkungsvertrages und die Kondiktionsfestigkeit des Anspruchserwerbes soll es nach Ansicht der Rechtsprechung gerade nicht ankommen (OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2015, 7245 Rn. 12 f.; s. hierzu auch BeckOGK-BGB/Kerscher, § 1638 Rn. 8.1; MünchKommBGB/Huber, § 1638 Rn. 4; Staudinger/Heilmann, § 1638 Rn. 15).

Eine dem Erwerb der Bezugsberechtigung erst nachfolgende Verwaltungsanordnung gem. § 1638 BGB, die zu ihrer Wirksamkeit gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB dem Lebensversicherer zugehen müsse, wäre nach dieser Ansicht daher verspätet und damit wirkungslos (OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2015, 7245 Rn. 12 f. der Entscheidungsgründe).

Diese strenge Auslegung des § 1638 BGB erscheint jedoch nicht zweifelsfrei. Es ließe sich vertretbar auch auf den Anspruchserwerb (Todesfall) bzw. das Wirksamwerden des im Valutaverhältnis zugrunde liegenden Schenkungsvertrages und damit den Zeitpunkt der bereicherungsrechtlichen Kondiktionsfestigkeit der Zuwendung abstellen, da hierin die eigentliche „Zuwendung“ an den Minderjährigen zu sehen sein dürfte.

Für die Praxis wird man nach dem Gebot des sichersten Weges gleichwohl die vorliegenden Judikate zugrunde legen müssen.

Soweit die Ausschließung von der Vermögensverwaltung bei Einräumung des Bezugsrechts nicht vorgenommen worden ist, müsste das Bezugsrecht folglich in einem ersten Schritt zunächst durch Erklärung gegenüber dem Versprechenden (z. B. Versicherungsunternehmen) widerrufen werden (sofern es sich um ein widerrufliches Bezugsrecht handelte; vgl. § 159 Abs. 2 VVG). In einem zweiten Schritt könnte dann die Bezugsberechtigung dem Minderjährigen neu eingeräumt und hierbei gleichzeitig die entsprechende Verwaltungsanordnung nach § 1638 BGB getroffen werden (hierauf verweisend auch OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2015, 7245 Rn. 13). Auch wenn dieses Vorgehen umständlich erscheint oder sogar ggf. als „sinnlose Förmlichkeit“ angesehen werden könnte, da dem widerruflich Begünstigten bis zum Eintritt des Versicherungsfalls noch kein Recht zusteht, sondern nur eine ungesicherte Hoffnung auf die später einmal fällig werdende Leistung, die sich rechtlich betrachtet als Nullum darstellt (vgl. nur BGH VersR 2010, 1021; 2015, 1542 m. w. N.; Prölss/Martin/Schneider, Versicherungsvertragsgesetz, 31. Aufl. 2021, § 159 VVG Rn. 15), so entspricht dieses Vorgehen angesichts der o. a. Rspr. jedenfalls dem Gebot des sichersten Weges.

3. Alternative Regelungsmöglichkeiten
Alternativ besteht die Möglichkeit, den Vermögenserwerb aus der Lebensversicherung in den Nachlass fallen zu lassen und die Ausschließungserklärung gem. § 1638 BGB durch Verfügung von Todes wegen vorzunehmen bzw. über die Versicherungssumme Dauervollstreckung anzuordnen (vgl. dazu Wedemann, FamRZ 2009, 1197 ff.).

In den Nachlass fiele der Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme jedoch nur dann (vgl. § 160 Abs. 3 VVG; BGHZ 32, 44, 46 f. = NJW 1960, 912; BeckRS 1980, 30381114), wenn

- der Erblasser die Benennung aller Bezugsberechtigungen unterließe (an dieser Stelle ist in der Praxis Vorsicht geboten, da Versicherungsverträge häufig in vorgedruckter Form die Einräumung von Bezugsrechten zugunsten des Ehegatten bzw. der Kinder vorsehen) oder - durch schriftliche Erklärung gegenüber der Versicherung zu Lebzeiten des Erblassers alle bestehenden Bezugsberechtigungen widerrufen werden; ein – nach dem Tod des Erblassers zugehender – Widerruf durch letztwillige Verfügung würde folglich nicht genügen (vgl. BGH NJW 1993, 3133, 3134; BeckOGK-BGB/Mäsch, Std.: 1.4.2023, § 332 Rn. 8). Insoweit kann es sich empfehlen, sich den Widerruf aller Bezugsberechtigungen (mit der Folge, dass der Auszahlungsanspruch in den Nachlass fällt) vom Lebensversicherer schriftlich bestätigen zu lassen.

Bei Wahl dieser Gestaltungsvariante könnte hinsichtlich der Lebensversicherung auch Testamentsvollstreckung (auch als Dauervollstreckung) angeordnet werden, die zeitlich über den Zeitraum nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes hinaus ausgedehnt werden könnte.

Gutachten/Abruf-Nr:

196325

Erscheinungsdatum:

02.06.2023

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)

Erschienen in:

DNotI-Report 2023, 81-83

Normen in Titel:

BGB § 1638