BFH 30. Januar 2019
II R 9/16
BewG §§ 166, 198

Ermittlung des Werts einer nach dem Erbfall veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Fläche

letzte Aktualisierung: 23.5.2019
BFH, Urt. v. 30.1.2019 – II R 9/16

BewG §§ 166, 198
Ermittlung des Werts einer nach dem Erbfall veräußerten land- und forstwirtschaftlich
genutzten Fläche

Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der kurze Zeit nach dem Erbanfall
veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach
§ 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert als Grundbesitzwert für
Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden.

Entscheidungsgründe

II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung sowie zur
antragsgemäßen Änderung des angefochtenen Bescheids (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung
--FGO--). Entgegen der Auffassung des FG ist der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts zuzulassen.

1. Für den in den Nachlass fallenden, als Betrieb der Land- und Forstwirtschaft bewerteten Grundbesitz hat das FA
zutreffend den Wert gesondert festgestellt.

a) Nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn die Werte für die
Erbschaftsteuer von Bedeutung sind. Die Entscheidung über eine Bedeutung für die Besteuerung trifft das für die
Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt.

Anwendung der §§ 158 bis 175 BewG zu ermitteln (§ 157 Abs. 2 BewG). Gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 BewG ist die
wirtschaftliche Einheit des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens der Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Zu
den Wirtschaftsgütern, die der wirtschaftlichen Einheit "Betrieb der Land- und Forstwirtschaft" zu dienen bestimmt
sind, gehört insbesondere der Grund und Boden (§ 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG). Dieser beinhaltet alle land- und
forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die nicht ausnahmsweise als Grundvermögen zu erfassen sind. Flächen
gehören zum Grundvermögen, wenn nach ihrer Lage, den am Bewertungsstichtag bestehenden
Verwertungsmöglichkeiten oder den sonstigen Umständen anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit anderen als
land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen werden (vgl. § 159 Abs. 1 BewG). Flächen sind stets dem
Grundvermögen zuzurechnen, wenn sie in einem Bebauungsplan als Bauland festgesetzt sind, ihre sofortige
Bebauung möglich ist und die Bebauung innerhalb des Plangebiets in benachbarten Bereichen begonnen hat oder
schon durchgeführt ist (§ 159 Abs. 3 Satz 1 BewG).

c) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass Feststellungsgegenstand im Streitfall der auf den Kläger
übergegangene Betrieb der Land- und Forstwirtschaft ist. Der mit dem Einspruch angefochtene Bescheid vom 20. Juni
2014 stellte einen Grundbesitzwert für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft (Art der wirtschaftlichen Einheit)
fest. Unerheblich ist, dass das für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt das FA zunächst
aufgefordert hatte, den Grundbesitzwert für Grundvermögen festzustellen. Die Flächen wurden als Ackerland genutzt.
Eine anderweitige Nutzung war am Bewertungsstichtag nicht absehbar.

2. Das FA hat die Höhe des Grundbesitzwerts für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft den gesetzlichen
Vorgaben entsprechend grundsätzlich zutreffend mit dem Liquidationswert in Höhe von 191.952 EUR festgestellt.

a) Wird ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nach dem
Bewertungsstichtag veräußert, erfolgt die Bewertung der wirtschaftlichen Einheit mit dem Liquidationswert nach § 166
BewG (§ 162 Abs. 3 Satz 1 BewG). Gleiches gilt für die Bewertung einzelner wesentlicher Wirtschaftsgüter, sofern
diese dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nicht mehr auf Dauer zu
dienen bestimmt sind (§ 162 Abs. 4 Satz 1 BewG); wesentliche Wirtschaftsgüter in diesem Sinn sind u.a. der Grund
und Boden nach § 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG. Dies gilt nicht, wenn der Veräußerungserlös innerhalb von sechs
Monaten ausschließlich im betrieblichen Interesse verwendet wird (§ 162 Abs. 4 Satz 2 BewG).

b) Bei der Ermittlung des Liquidationswerts nach § 166 Abs. 1 BewG ist der Grund und Boden i.S. des § 158 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 BewG mit den zuletzt vor dem Bewertungsstichtag ermittelten Bodenrichtwerten zu bewerten (§ 166
Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BewG). Zur Berücksichtigung der Liquidationskosten ist der ermittelte Bodenwert um 10 % zu
mindern (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 BewG).

c) Im Streitfall hat der Kläger den Grund und Boden ca. sechs Monate nach dem Bewertungsstichtag veräußert und
den Veräußerungserlös nicht wieder in einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb investiert. Die Grundstücke sind
daher grundsätzlich mit dem Liquidationswert zu bewerten. Dieser beträgt wie vom FA zuletzt festgestellt
191.952 EUR.

3. Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten land- und
forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert,
kann der niedrigere gemeine Wert nach § 9 Abs. 2 BewG als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer
festgestellt werden.

a) Für den nach §§ 163 und 164 BewG für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft anzusetzenden Wert des
Wirtschaftsteils sieht das Gesetz im Fortführungsfalle den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts vor. Weist der
Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert des --unveräußerten-- Wirtschaftsteils niedriger ist als der nach § 165
Abs. 1 und 2 BewG ermittelte Wert, ist dieser Wert anzusetzen; § 166 BewG ist zu beachten (§ 165 Abs. 3 BewG). Im
Rahmen des § 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BewG ist die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts
für den Grund und Boden aber nicht eröffnet. Gleichwohl orientiert sich der nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG
festzustellende Wert durch den Ansatz der Bodenrichtwerte im Wege der Typisierung an dem gemeinen Wert.

b) Im Gegensatz zur Bewertung des Grund und Bodens, der zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehört
und bei einer Veräußerung mit dem Liquidationswert anzusetzen ist, ist bei der Bewertung von ebenfalls land- und
forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die dem Grundvermögen zuzurechnen sind, nach § 198 BewG der Nachweis
eines niedrigeren gemeinen Werts möglich. Ein niedrigerer gemeiner Wert kann durch einen im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende
Grundstück nachgewiesen werden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. März 2017 II R 10/15, BFH/NV 2017,
1153, Rz 22, m.w.N.). Ein zeitnah erzielter Kaufpreis ist regelmäßig ein solcher, der innerhalb eines Jahres vor oder
nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommen ist. Grundstücksverkäufe, die eine wesentlich längere Zeit als
ein Jahr entfernt liegen, bieten im Allgemeinen keine geeignete Grundlage zur unmittelbaren Ableitung des gemeinen
Werts (BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 1153, Rz 22). Gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel, der sich nach den
marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne
Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist (BFHUrteil
in BFH/NV 2017, 1153, Rz 22).

c) Die Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer hat sich vorrangig am gemeinen Wert zu
orientieren (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 7. November 2006 1 BvL 10/02, BVerfGE 117,
1, BStBl II 2007, 192). Dieser Vorgabe folgend hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung der Vorschriften des
BewG den gemeinen Wert zum Maßstab einer realitätsgerechten Wertermittlung erhoben. Die für eine praktikable
Anwendung der Vorschriften erforderlichen Pauschalierungen und Typisierungen finden ihre Grenze im
verfassungsrechtlich verankerten Übermaßverbot. Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer
schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt,
oder die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass
nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, 116, BStBl II
1978, 441).

d) Um einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zu verhindern, ist der Nachweis eines niedrigeren
gemeinen Werts bei verfassungskonformer Auslegung auch dann geboten, wenn er nach dem Wortlaut des BewG
nicht vorgesehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 2013 II R 22/11, BFH/NV 2014, 1086, Rz 13, zu § 148 Abs. 1
BewG). Diese zur pauschalierten Bewertung von erbbaurechtsbelasteten Grundstücken ergangene Rechtsprechung
gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige ein Grundstück aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nach dem
Bewertungsstichtag veräußert hat und der Wert für dieses Grundstück nach § 166 Abs. 2 BewG zu ermitteln ist.

Zwar orientiert sich der nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG bestimmte Liquidationswert durch die Bezugnahme auf den
Bodenrichtwert an dem gemeinen Wert und stellt keine grobe Vereinfachung wie der Vervielfältiger beim Erbbaurecht
dar. Nichts anderes gilt jedoch auch für § 198 BewG, bei dem der Gesetzgeber ausdrücklich den Nachweis eines
niedrigeren gemeinen Werts eröffnet hat. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot kann der
Steuerpflichtige deshalb auch bei der Veräußerung von Flächen, die einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb
zuzurechnen waren, entsprechend § 165 Abs. 3 Halbsatz 1, § 198 BewG den Nachweis eines vom Liquidationswert
wesentlich abweichenden niedrigeren gemeinen Werts erbringen, etwa durch ein Sachverständigengutachten oder
durch einen zeitnahen Verkauf.

Die Annahme des Gesetzgebers, dass land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen typischerweise nicht verkauft,
sondern überwiegend verpachtet werden, der Grundstücksmarkt für land- und forstwirtschaftliche Flächen
infolgedessen stark eingeschränkt sei und tatsächlich erzielte Preise auf seltene Einzelvereinbarungen zurückgingen,
die nicht zwingend den tatsächlichen Flächenpreis abbilden (BTDrucks 16/7918, S. 40), mag zutreffen. Allerdings hat
der Gesetzgeber gerade den Verkauf einzelner Wirtschaftsgüter aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb
durch den Ansatz des nach § 166 Abs. 2 BewG zu ermittelnden Werts berücksichtigt. Wenn dieser Wert entgegen der
Annahme des Gesetzgebers den gemeinen Wert deutlich übersteigt, liegt ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vor.
Auf das aus dem Übermaßgebot folgende Begrenzungsgebot hat es keinen Einfluss, wie viele Wirtschaftsgüter der
Wirtschaftsteil eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs aufweist.

e) Das Übermaßverbot ist nur verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale
Maß hinausgehen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 48, 102, 116, BStBl II 1978, 441). Dies erfordert den Nachweis
eines niedrigeren gemeinen Werts, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der
festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV
2014, 1086, Rz 15, m.w.N.). Extrem über das normale Maß hinaus geht beispielsweise das Dreifache des gemeinen
Werts (vgl. BFH-Urteil vom 5. Mai 2004 II R 45/01, BFHE 204, 570, BStBl II 2004, 1036) bzw. das rund 1,4-fache eines
sich aus dem Bodenrichtwert errechneten Verkehrswerts (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2002 II B 153/01,
BFHE 200, 393, BStBl II 2003, 118). Eine Bewertungsdifferenz von 10 % ist hingegen als Folge der typisierenden
Bewertungsmethode aufgrund der mit der Wertschätzung verbundenen Ungenauigkeit hinzunehmen (vgl. BFH-Urteil
in BFH/NV 2014, 1086, Rz 16). Diese Maßstäbe sind auf die Problematik des Streitfalls entsprechend anzuwenden.

4. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache
ist spruch-reif. Der angefochtene Feststellungsbescheid ist dahingehend zu ändern, dass der Grundbesitzwert in Höhe
des vom Kläger nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Werts festzustellen ist.

a) Der Kläger hat einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von 123.840 EUR nachgewiesen. Die beiden
Ackerflächen wurden ca. sechs Monate nach dem Bewertungsstichtag und damit innerhalb eines Jahres nach dem
maßgeblichen Zeitpunkt veräußert. Der vom Kläger erzielte Kaufpreis ist nach den Feststellungen des FG im
gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Grundsätzen der Preisbildung durch Angebot und Nachfrage zustande
gekommen. Einwendungen dagegen sind im Revisionsverfahren weder vorgetragen noch ersichtlich.

b) Bei der Überprüfung, ob das Übermaßverbot verletzt ist, sind der nach den Vorschriften des BewG anzusetzende
Wert und der nachgewiesene gemeine Wert gegenüberzustellen. Weitere pauschale Zu- oder Abschläge, die keine
Grundlage im BewG haben, sind nicht vorzunehmen. Der vom FA nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG ermittelte und
angesetzte Wert in Höhe von 191.952 EUR beträgt im Streitfall das 1,55-fache des vom Kläger durch den zeitnahen
Verkauf nachgewiesenen tatsächlich erzielten Veräußerungserlöses. Der sich bei typisierender Bewertung mit dem
Bodenrichtwert ergebende Wert übersteigt damit den nachgewiesenen gemeinen Wert so erheblich, dass sich der
festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BFH

Erscheinungsdatum:

30.01.2019

Aktenzeichen:

II R 9/16

Erschienen in:

ZEV 2019, 434-436

Normen in Titel:

BewG §§ 166, 198