OLG Hamm 21. April 2022
15 W 51/19
BGB §§ 119, 1954, 1955, 1957

Motivirrtum: Irrtum über die Person, der die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt

letzte Aktualisierung: 25.8.2022
OLG Hamm, Beschl. v. 21.4.2022 – 15 W 51/19

BGB §§ 119, 1954, 1955, 1957
Motivirrtum: Irrtum über die Person, der die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt

Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt (hier:
Ausschlagung mit dem Ziel, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen), ist grundsätzlich nur
ein nicht zur Anfechtung berechtigender unbeachtlicher Motivirrtum (Anschluss KG, 19 W 50/19;
entgegen OLG Düsseldorf, 3 Wx 173/17, ZEV 2018, 85; OLG Düsseldorf, 3 Wx 166/17, ZEV
2019, 469).

Gründe

I.)
Der Erblasser ist ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung am 00.00.2018
verstorben. Die Beteiligte zu 1) ist die Witwe des Erblassers, der Beteiligte zu 2) eines
seiner Kinder. Alle Abkömmlinge des Erblassers haben durch notariell beglaubigte
Erklärungen gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft ausgeschlagen, beim
Nachlassgericht eingehend am 10.08. und 13.08.2018. Wegen der Einzelheiten wird auf
die Beiakte 158 VI 1970/18 AG Essen Bezug genommen.

Durch Urkunde ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 21.08.2018 hat die Beteiligte zu 1)
zunächst einen Erbschein beantragt, durch den sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher
Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Mit Verfügung vom 11.09.2018 hat das Amtsgericht
darauf hingewiesen, dass die Beteiligte zu 1) nur dann Alleinerbin sei, wenn weder Erben
der ersten oder zweiten Ordnung und keine Großeltern zur Zeit des Erbfalls vorhanden
gewesen seien. Der Erbscheinsantrag müsse daher um Angaben zu Kindern der
Abkömmlinge, den Eltern und evtl. Geschwistern und Großeltern ergänzt werden.
Am 05.10.2018 ging sodann beim Nachlassgericht die notariell beglaubigte
Anfechtungserklärung des Beteiligten zu 2) ein, die im Wesentlichen folgenden Wortlaut
hat:

„In der Nachlasssache … fechte ich, …, die Ausschlagungserklärung vom 08.08.2018, …,
wegen Irrtums an.
Ich und meine Geschwister haben die Erbschaft ausgeschlagen, weil wir davon ausgingen,
dass somit unsere Mutter, …, Alleinerbin ist und somit auch als Alleineigentümerin der
Eigentumswohnung … eingetragen wird. Nunmehr erhielt ich Kenntnis darüber, dass durch
die Ausschlagungserklärung sämtlicher Kinder unseres Vaters dessen Halbgeschwister
erben.
Diese Halbgeschwister sind weder meiner Mutter, meinen Geschwistern oder mir
namentlich bekannt. Auch mein Vater hatte zu seinen Halbgeschwistern keinen Kontakt.
Erst mit der Mitteilung des Nachlassgerichts Essen vom 11.09.2018 erfuhr ich durch meine
Mutter am 02.10.2018, dass die Halbgeschwister meines Vaters durch meine
Erbausschlagung erben.
...“
Durch weitere Urkunde ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 08.10.2018 hat die Beteiligte
zu 1) ihren Erbscheinsantrag dahingehend abgeändert, dass nunmehr ein
gemeinschaftlicher Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2) als Miterben zu ½ beantragt
wurde. Das Amtsgericht hat diesen Antrag durch den angefochtenen Beschluss
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die
Rechtsprechung des Senats ausgeführt, dass der Irrtum darüber, welcher Person das
ausgeschlagene Erbe anfalle, ein unbeachtlicher Motivirrtum sei.

Gegen diesen Beschluss, dessen genaues Zustellungsdatum sich urkundlich nicht belegen
lässt, haben die Beteiligten am 02.01.2019 Beschwerde erhoben. Mit dieser machen sie
geltend, dass es sich bei dem Irrtum über die Begünstigten einer Ausschlagungserklärung
– entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – um einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum
handele. Zudem sei dem Beteiligten zu 1) im Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung die
Existenz von Halbgeschwistern seines Vaters unbekannt gewesen.

Der Senat sich hat vor dem Hintergrund einer möglichen Zulassung der
Rechtsbeschwerde im Falle einer Zurückweisung der Beschwerde bemüht, die Identität
der Erben zweiter Ordnung festzustellen. Hierbei stellte sich heraus, dass der Erblasser
nicht nur Halbgeschwister, sondern auch eine Vollschwester hatte. Hierauf sind die
Beteiligten durch Verfügung vom 26.11.2019 hingewiesen worden. Hierauf hat der
Beteiligte zu 2) durch notariell beglaubigte Erklärung vom 14.02.2020 seine
Anfechtungserklärung dahingehend ergänzt, dass ihm auch nicht bekannt gewesen sei,
dass sein Vater eine (Voll-)Schwester gehabt habe.

II.)
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben. Zwar lässt sich das
genaue Zustellungsdatum urkundlich nicht feststellen. Angesichts des Abvermerks des
Amtsgerichts (03.12.2018) ist jedoch als sicher davon auszugehen, dass die Angabe der
Beschwerde, der Beschluss sei am 04.12.2018 zugegangen, zutreffend ist.
In der Sache ist die Beschwerde jedoch unbegründet.

Der Erbscheinsantrag ist nur dann begründet, wenn der Beteiligte zu 2) neben der
Beteiligten zu 1) zur Erbfolge gelangt ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, da er die Erbschaft
wirksam ausgeschlagen hat. Seine Ausschlagungserklärung vom 08.08.2018 genügt den
Anforderungen der §§ 1954, 1955, 1945 BGB, da sie innerhalb von sechs Wochen nach
dem Eintritt des Erbfalls (als dem frühest möglichen Zeitpunkt im Sinne von § 1944 BGB)
in öffentlich beglaubigter Form beim Nachlassgericht eingegangen ist.

Die Wirkung der Ausschlagung, nämlich der rückwirkende Ausschluss des Beteiligten zu
2) von der Erbfolge (§ 1953 Abs.1 BGB), ist durch seine Anfechtungserklärung nicht
beseitigt worden. Die Anfechtung ist unwirksam, da sich anhand des Vorbringens des
Beteiligten zu 2) ein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund nicht feststellen lässt.
Die Beteiligten machen vorliegend geltend, der Beteiligte zu 2) habe sich in einem
Erklärungsirrtum (§ 119 Abs.1 BGB) befunden, weil er sich über die Rechtsfolgen seiner
Erklärung geirrt habe. Er sei irrig davon ausgegangen, dass die Erbschaft infolge der
Ausschlagung seitens der Abkömmlinge der Beteiligten zu 1) „anwachse“. Soweit der
Beteiligte zu 2) zusätzlich geltend macht, ihm sei (auch) unbekannt gewesen, dass sein
Vater (Halb-)Geschwister gehabt habe, also Erben 2. Ordnung vorhanden sind, ist dieser
tatsächliche Irrtum für die Ausschlagungserklärung jedenfalls nicht kausal geworden, da er
diese infolge seines Rechtsirrtums auch bei Kenntnis von der Existenz der (Halb-)
Geschwister abgegeben hätte.

In der ex-post-Sicht ist es offensichtlich, dass sich der Beteiligte zu 2) bei seiner
Ausschlagungserklärung in einem Rechtsirrtum befand. Hierfür spricht der gesamte unter
I.) dargestellte Ablauf. Indes stellt nicht jeder Rechtsfolgenirrtum einen relevanten
Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs.1 BGB dar. Ein derartiger Irrtum berechtigt
vielmehr nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich
andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt
zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen
Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein
unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Beschluss vom 05.07.2006, IV ZB 39/05 = BGHZ 168,
210 ff. = NJW 2006, 3353 ff.; Beschluss vom 29.06.2016, IV ZB 387/15 = NJW 2016,
2954).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird ein solcher, relevanter Irrtum diskutiert,
wenn sich im Einzelfall feststellen lässt, dass der ausschlagende Erbe dem Irrtum unterlag,
es handele sich bei der Ausschlagung um die gesetzliche Form einer von seinem Willen
abhängigen Übertragung seines Erbteils (Senat, Beschl vom 31.05. 2011 – 15 W 176/11,
FGPrax 2011, 236f; OLG Düsseldorf, Beschl. Vom 08.01.1997 – 3 Wx 575/96, FGPrax
1997, 258f). Für eine solche Feststellung ist hier jedoch keine Grundlage ersichtlich. Eine
Erklärung, die sich – wie hier – auf den formelhafte Satz „Ich , …, schlage die Erbschaft
hiermit aus allen in Betracht kommenden Gründen aus.“ beschränkt, bietet aus sich heraus
keinen Ansatzpunkt für eine Auslegung dahingehend, es solle sich um einen
rechtsgeschäftlichen Übertragungsakt handeln (Senat a.a.O.). Sonstige tatsächliche
Anhaltspunkte in dieser Richtung sind auch nicht ersichtlich.

Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Irrtum darüber, dass die Ausschlagung
nicht zum Anfall der gesamten Erbschaft bei einer bestimmten Person (i.d.R. dem
Ehepartner des Erblassers) führt, sondern vielmehr nach § 1953 Abs.2 BGB die Erben der
zweiten Ordnung in die Erbfolge eintreten, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung
mittlerweile hoch streitig. Nach der (früher) ganz herrschenden Auffassung stellt ein
solcher Irrtum in aller Regel lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum dar, weil der
Ausschlagende nicht über die primäre Rechtsfolge (Verlust der Erbenstellung), sondern
über eine weitere, von Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge, nämlich den Anfall bei
einer bestimmten Person geirrt hat (Senat sowie OLG Düsseldorf, jew. a.a.O.; OLG
Schleswig, Beschl. v. 11.05.2005 – 3 Wx 70/04, ZEV 2005, 526f; in der Begründung
ebenfalls OLG München, Beschl.v. 04.08.2009 – 31 Wx 60/09, NJW 2010, 687 sowie KG,
Beschl.v. 11.07.2019 – 19 W 50/19, ZEV 2020, 152f, dort jedoch jeweils mit
Besonderheiten im Sachverhalt). Nach einer mittlerweile starken Gegenauffassung soll es
sich insoweit jedoch regelmäßig um einen Irrtum betreffend die unmittelbaren Rechtsfolgen
der Ausschlagungserklärung handeln (OLG Frankfurt, Beschl. v. 04.05.2017 – 20 W
197/16, ZEV 2017, 515; Beschl. v. 06.02.2021 – 21 W 167/20, FamRZ 20211751; OLG
Düsseldorf, Beschl.v. 21.09.2017 – 3 Wx 173/17, ZEV 2018, 85; Beschl. v. 12.03.2019 – 3
Wx 166/17, ZEV 2019, 469).

Der Senat hält aus den nachfolgenden Überlegungen an seiner bisherigen
Rechtsprechung fest:

Nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beurteilt sich die
Abgrenzung zwischen relevanten Rechtsfolgenirrtum und unbeachtlichen Motivirrtum
danach, ob sich der Rechtsirrtum auf unmittelbare Rechtsfolgen oder nur mittelbare
bezieht. Diese Grenzziehung bereitet, auch nach Auffassung des Senats, in der Praxis
sowohl hinsichtlich der notwendigen Tatsachenfeststellung als auch hinsichtlich der
Bewertung nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Die Lösung dieser Schwierigkeiten kann
aber nicht darin liegen, den Kreis der unmittelbaren Rechtsfolgen einer Erklärung ohne
objektiv nachprüfbare Kriterien auszuweiten.

Die Argumentation der Gegenauffassung in der Rechtsprechung überzeugt den Senat vor
diesem Hintergrund nicht. Soweit in der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom
12.03.2019 (a.a.O. S.87) anklingt, die Willensrichtung des Ausschlagenden habe
Bedeutung dafür, was als unmittelbare und was als mittelbare Rechtsfolge angesehen
werden könne, hält der Senat dies rechtlich für verfehlt. Die Vorstellungen und die
Willensrichtung des Ausschlagenden sind der tatsächliche Tatbestand, der rechtlich zu
bewerten ist. Für den rechtlichen Maßstab, der insoweit Anwendung zu finden hat, sind sie
bedeutungslos. Jede andere Sichtweise würde nach Auffassung des Senats darauf
hinauslaufen, das Anfechtungsrecht rechtlich jedenfalls ganz vorrangig an dem
Vorstellungsbild des Erklärenden auszurichten. Dies wird aber der gesetzlichen
Konzeption der §§ 119ff BGB und der §§ 1942ff BGB nicht gerecht. Diese bezwecken nach
dem Verständnis des Senats einen Ausgleich zwischen der Privatautonomie des
Erklärenden, in Fällen der §§ 1942ff BGB des vorläufigen Erben, und der Sicherheit des
Rechtsverkehrs. Letztere mag in erbrechtlichen Fällen ein geringeres Gewicht haben als
bei zweiseitigen Rechtsgeschäften. Die verlässliche und überprüfbare Klärung der
Erbfolge ist jedoch auch für den Rechtsverkehr, namentlich für die Gläubiger und
Vertragspartner des Erblassers, keineswegs bedeutungslos, wie u.a. die Vorschrift des §
1953 Abs.3 BGB zeigt (im Erg. ebenso KG a.a.O. S.154).

Nach Auffassung des Senats lässt sich die Problematik auch nicht über den Inhalt des §
1953 BGB in dem Sinne lösen, es handele sich bei normativer Betrachtung um einen
Irrtum über eine primäre Rechtsfolge, weil sich sein Irrtum auf den Inhalt der Vorschrift
beziehe. Richtig ist zunächst, dass die primäre Rechtsfolge der Ausschlagung nach § 1953
Abs.1 BGB der Wegfall des Ausschlagenden – bezogen auf den Zeitpunkt des Erbfalls -
ist. Ebenso eindeutig ist, dass dies weitere Rechtsfolgen hervorbringt, nämlich den Anfall
der Erbschaft oder des Erbteils bei anderen Personen, weil das BGB einen erbenlose
Nachlass nicht kennt. § 1953 Abs.2 BGB stellt insoweit nicht mehr als eine bereits durch §
1953 Abs.1 BGB vorgegebene Rechtsfolge klar (Motive Bd.5 S.513f). Wem die
Erbschaft/der Erbteil nunmehr anfällt, bestimmt sich nicht nach § 1953 Abs.2 BGB,
sondern vielmehr allein nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge oder den Regeln der
gewillkürten Erbfolge betreffend Ersatzerbfolge und Anwachsung (so auch KG a.a.O.). Aus
Sicht des Senats ist es daher verfehlt zu postulieren, der Ausschlagende irre in der hier
fraglichen Situation über den Inhalt des § 1953 Abs.2 BGB und damit über eine
unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung. Die Vorschrift besagt nicht mehr, als dass
anstelle des Ausschlagenden eine andere Person an seine Stelle tritt. Hierüber irrt der
Ausschlagende aber nicht. Er irrt darüber, welche Person dies ist.

In diesem Zusammenhang hält es der Senat auch für verfehlt, jedenfalls im Regelfall
danach zu differenzieren, ob der seine Ausschlagung Anfechtende geltend macht, er habe
die Vorstellung gehabt, sein Erbe falle seiner Zielperson im Wege der Anwachsung an. Der
Senat neigt dazu, auch diesen Vortrag bereits aus den vorgenannten rechtlichen
Überlegungen heraus für irrelevant zu halten. Selbst wenn man dies aber anders sehen
wollte, wäre bereits die Annahme, ein vorläufiger Erbe, der eine sog. lenkende
Ausschlagung vornehmen will, die insoweit geltenden gesetzlichen Regeln aber nicht
überblickt, habe die feste Vorstellung, dass die Regeln der gewillkürten Erbfolge gelten,
kaum tragfähig. Denn auch in Fällen der gesetzlichen Erbfolge kann eine aus Laiensicht
der Anwachsung vergleichbare Ersatznachfolge eintreten, wenn nämlich bei einer
Erbengemeinschaft, die nur aus Erben der ersten Ordnung besteht, ein Miterbe zugunsten
des oder der anderen ausschlägt. Gleichwohl mag ein solcher Irrtum in besonders
gelagerten Einzelfällen denkbar sein. Im Regelfall erscheint eine solche Annahme eher
lebensfremd. Wesentlich naheliegender erscheint dem Senat im Regelfall die tatsächliche
Annahme, dass ein vorläufiger Erbe angesichts der gesetzlichen Erbfolge, nach der
vorrangig die Abkömmlinge und der Ehegatte, dieser zudem - regelmäßig – mit dem
überwiegenden Anteil am Nachlass teilhaben, das Erbrecht des Ehegatten als dem der
Abkömmlinge gleichwertig einschätzt, er also über den Inhalt des § 1931 BGB irrt ( so
auch KG a.a.O.).

Schließlich überzeugt nicht, wenn sich die Gegenauffassung auf die eingangs zitierte
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Irrtumsfällen vor dem Hintergrund des §
2306 BGB beruft und insoweit das vom Bundesgerichtshof geprägte Bild der beiden Seiten
einer Medaille bemüht. Der BGH hat insbesondere in seinem Beschluss vom 05.07.2006
(a.a.O.) darauf abgestellt, dass die Annahme der Erbschaft zwingend den Verlust des
Pflichtteilsrechts zur Folge habe. Lasse sich feststellen, dass die Annahme der Erbschaft
durch den Irrtum bedingt sei, nur hierdurch könne der Pflichtteilsanspruch erhalten bleiben,
so liege ein Irrtum über eine Rechtsfolge vor, die das Gesetz zwingend und unmittelbar mit
dem Inhalt der Erklärung verknüpfe. Dieser argumentative Ansatz ist zur Überzeugung des
Senats auf die vorliegende Fragestellung nicht übertragbar.

Zunächst verknüpft das Gesetz eine Ausschlagungserklärung in § 1953 BGB nur mit den
Rechtsfolgen, dass der Ausschlagende als nicht vorhanden behandelt wird und sein Erbteil
einer anderen Person anfällt, worüber der Ausschlagende hier aber nicht irrt (vgl. oben).
Bezugspunkt des hier relevanten Irrtums ist die Frage, welcher konkreten Person das
Erbe/der Erbteil anfällt. Dies beurteilt sich nach den allgemeinen Regeln über die
Rechtsnachfolge bei Wegfall eines vormals vorhandenen Erben. Diese gelten jedoch
allgemein, und knüpfen nicht zwingend an eine Ausschlagungserklärung an. Wenn man
einen Irrtum hierüber, mit der Begründung, dass es sich auch insoweit um die gesetzlichen
Rechtsfolgen handele, gleichwohl als rechtlich unmittelbaren Irrtum ansehen wollte, wäre
praktisch jeder Irrtum darüber, welche Rechtsfolgen im konkreten Fall eintreten, ein
Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 Abs.1 BGB.

In Anwendung dieser Überlegungen ergibt sich für den Senat das folgende Ergebnis:
Die allgemeine Begründung der Anfechtung, der Beteiligte zu 2) habe darüber geirrt, dass
neben seiner Mutter noch Erben zweiter Ordnung zur Erbfolge gelangen können, ist aus
Rechtsgründen unbeachtlich, da es sich um einen bloßen Motivirrtum handelt. Soweit
schriftsätzlich vorgetragen wurde, der Beteiligte zu 2) habe die Vorstellung gehabt, sein
Erbteil werde seiner Mutter anwachsen bzw. er übertrage hiermit seinen Erbteil, ist dies
zunächst – rechtlich - in sich widersprüchlich, insbesondere aber ohne jede tatsächliche
Substanz. Wenn man einen Irrtum zu den beiden Rechtsvorgängen überhaupt als
möglichen Inhaltsirrtum ansehen kann (vgl. hierzu oben), so bedarf es zum Vorliegen eines
solchen Irrtums konkreter Feststellungen im Einzelfall, die sich insbesondere über das
Zustandekommen der Ausschlagungserklärung, die Kenntnisse des Ausschlagenden und
eine erfolgte rechtliche Beratung verhalten müssen. Für derartige Feststellungen bietet der
Vortrag der – rechtlich vertretenen – Beteiligten keinerlei Ansatzpunkte, weshalb auch eine
weitere amtswegige Sachaufklärung keine Grundlage hat.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 61 Abs.1, 40 Abs.1 GNotKG.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu, da dies zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten ist. Mit der vorliegenden Entscheidung weicht der Senat
jedenfalls von tragenden Teilen der Begründung der o.a. Entscheidungen der
Oberlandesgerichte Frankfurt und Düsseldorf ab.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft.

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des
Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof
Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe in deutscher Sprache einzulegen. Die
Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (Datum
des Beschlusses, Geschäftsnummer und Parteien) sowie die Erklärung enthalten, dass
Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird.
Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Rechtsbeschwerdeschrift keine Begründung enthält,
binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu
begründen. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des
Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde
(Rechtsbeschwerdeanträge),
2. in den Fällen, in denen die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Gesetz
ausdrücklich bestimmt ist eine Darlegung, dass die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert,
3. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
- die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
- soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das
Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

Die Parteien müssen sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen
die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem
solchen unterzeichnet sein. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder
beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.

Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:

Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die
elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die
Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen
Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person
signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer
Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen
Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I,
S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch
professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des
elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur
Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des
elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des
elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften
vom 05.10.2021 wird hingewiesen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

21.04.2022

Aktenzeichen:

15 W 51/19

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Gesetzliche Erbfolge
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 119, 1954, 1955, 1957