OLG Rostock 08. Februar 2022
3 W 143/20
BGB § 2087 Abs. 2

Auslegung der Zuwendung einzelner Gegenstände als Erbeinsetzung

letzte Aktualisierung: 11.5.2022
OLG Rostock, Beschl. v. 8.2.2022 – 3 W 143/20

BGB § 2087 Abs. 2
Auslegung der Zuwendung einzelner Gegenstände als Erbeinsetzung

1. Der Umstand, dass die zugewandten Gegenstände das Vermögen des Erblassers erschöpfen,
rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme einer Erbeinsetzung, sondern ist nur besonderer
Anlass für die Prüfung, ob entgegen § 2087 Abs. 2 BGB eine Erbeinsetzung vorliegt.
2. Die Auslegung wird dabei zu fragen haben, ob die Rechtsstellung des Bedachten nach dem Willen
des Erblassers Merkmale aufweisen sollte, die derjenigen eines Vermächtnisnehmers fremd, aber mit
der Erbenstellung verbunden sind.
3. Auszugehen ist insoweit von den Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der
Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert
der in diesen fallenden Gegenstände hat.
4. Wer entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB die Rechtsstellung eines Erben
beansprucht, muss im Einzelnen darlegen und beweisen, dass der zugewandte Gegenstand praktisch
das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht hat.

Gründe

I.
Der Erblasser errichtete am 23.7.1987 vor einem staatlichen Notariat zusammen mit seiner
Ehefrau H. M. ein gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sich die Eheleute
gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Ableben des Längstlebenden sollte der
Antragsteller Eigentümer ihres Hausgrundstückes in B., das sie im Jahr 1973 für 4.360
Mark/DDR erworben hatten, werden. Genauere Festlegungen darüber und über die
Verteilung des übrigen Eigentums (Hausrat, Sparguthaben, Schmuck usw.) sollte der
Längstlebende treffen. Der Erblasser war selbständiger Maler.

Der Antragsteller behauptet, neben dem Hausgrundstück sei nur unwesentliches
Sparvermögen und einfacher Schmuck vorhanden gewesen, sodass es sich bei dem
Hausgrundstück um das wesentliche Vermögen des Erblassers gehandelt habe und
demzufolge eine Erbeinsetzung zu seinen Gunsten vorliege.

Die Antragsgegnerin behauptet, das Hausgrundstück sei im Jahr 1987 höchstens 5.000
Mark/DDR wert gewesen. Die Eheleute M. hätten umfangreiches Geld- bzw.
Sparvermögen, wertvollen Schmuck und einen Pkw Wartburg, der schon allein mehr wert
gewesen sei als das Grundstück, besessen.

Das alte reetgedeckte Wohnhaus der Eheleute M. verfügte bis zum Jahr 1990 über eine
einfache Ferienwohnung (“Ost-Standard), die regelmäßig Verwandten überlassen wurde. Im
Jahr 1992 wurde das Haus umgebaut und saniert, sodass zwei Wohnungen und drei
Ferienwohnungen (“West-Standard“) entstanden. Die Eheleute M. wandten hierfür
62.709,22 DM auf, die sie bar bezahlten. Ob es sich um Ersparnisse aus DDR-Zeiten oder
um Einkünfte nach der „Wende“ handelte, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Der Erblasser beerbte seine am 1.12.2017 vorverstorbene Ehefrau H. M. allein (s.
Erbschein des AG Stralsund vom 4.4.2018 - Az. 101 VI 71/18).

Der Erblasser verkaufte das Hausgrundstück am 31.1./15.2.2019 für 200.000 €. Der Käufer
ist noch nicht im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Im Grundbuch ist indes eine
Sicherungshypothek in Höhe von 25.000 € eingetragen. Der restliche Nachlass hat einen
Wert von 61.000 €, darunter 40.000 € Geldvermögen und ein Bausparvertrag in Höhe von
10.000 €.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Erbscheinsantrag zurückzuweisen. Über ihren
gegenläufigen Antrag, einen Alleinerbschein zu ihren Gunsten zu erteilen, ist noch nicht
entschieden.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11.9.2020 die zur Begründung des
Erbscheinsantrags vom 12.3.2020 erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers für
festgestellt erachtet. Neben dem Grundstück sei zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung
kein nennenswertes Vermögen vorhanden gewesen; substantiierter Vortrag der
Antragsgegnerin fehle insoweit. Wegen der weiteren Begründung wird auf den
angefochtenen Beschluss vom 11.9.2020 verwiesen.

Die Antragsgegnerin hat am 13.10.2020 gegen den am 14.9.2020 zugestellten Beschluss
Beschwerde eingelegt. Mit der Beschwerde hat sie die Rechnungen und Zahlungsnachweise
betreffend den Umbau des Wohnhauses im Jahr 1992 sowie zahlreiche Fotos vor und
während der Bauphase eingereicht. Der im Jahr 1973 bezahlte Kaufpreis habe dem
Einheitswertbescheid und damit dem damaligen Verkehrswert entsprochen. Das
Hausgrundstück habe im Jahr 1987 nicht das gesamte bzw. fast das gesamte Vermögen des
Erblassers ausgemacht, sodass sich eine Auslegung der Zuwendung des Hausgrundstückes
in eine Erbeinsetzung des Antragstellers verbiete.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Stralsund - Zweigstelle
Bergen auf Rügen - vom 21.8.2020 (meint nach Berichtigung: 11.9.2020), Az. 10 VI 187/20,
aufzuheben und den Erbscheinsantrag des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Erbscheinsantrag des Antragstellers vom 12./26.3.2020 ist unter Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts vom 11.9.2020 abzulehnen, weil der
Antragsteller nicht testamentarischer Alleinerbe des Erblassers geworden ist; vielmehr ist die
Antragsgegnerin aufgrund gesetzlicher Erbfolge Alleinerbin geworden.

Dem Antragsteller ist durch das Testament vom 23.7.1987 isoliert das Hausgrundstück der
Eheleute M. zugewendet worden, ohne ihn zum (Schluss-) Erben einzusetzen. Gemäß
§ 2087 Abs. 2 BGB ist die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes im Zweifel nicht als
Erbeinsetzung, sondern als Vermächtnisanordnung anzusehen. So liegt es hier:

Eine der Zweifelsregelung des § 2087 Abs. 2 BGB vorrangige Testamentsauslegung
dahingehend, dass der Antragsteller entgegen dem Wortlaut des Testaments alleiniger
Schlusserbe werden sollte, ist hier nicht vorzunehmen. Mit dem gewählten
Vorausvermächtnis konnte der Wille der Eheleute M., dass ihre offenbar handwerklich
unbegabte bzw. damals als unzuverlässig angesehene Tochter zumindest das
Hausgrundstück nicht erhält, unproblematisch verwirklicht werden. Aufgrund der
Beurkundung des gemeinschaftlichen Testamentes durch einen staatlichen Notar ist davon
auszugehen, dass den Eheleuten M. die Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung und
Vermächtnis geläufig und Ihnen bekannt war, dass ein einzelner Gegenstand nicht vererbt,
sondern nur vermacht werden kann. Die förmliche Einsetzung des Antragstellers als
Schlusserbe im gemeinschaftlichen Testament hätte bewirkt, dass der überlebende Ehegatte
Vermächtnisse oder Auflagen bezüglich des Hausrates, des Schmuckes und gegebenenfalls
vorhandener Sparguthaben in einer neuen testamentarischen Verfügung nicht wirksam hätte
treffen können. Im Falle des frühen Versterbens eines der Eheleute hätte die Einsetzung
des Antragstellers als Schlusserbe dazu geführt, dass einem möglichen neuen Ehepartner
des überlebenden Ehegatten testamentarisch nichts mehr hätte zugewendet werden können
(§ 390 Abs. 2 ZGB/DDR).

Eine Auslegung als Vermächtnis ist auch möglich, wenn der zugewendete Einzelgegenstand
das gesamte oder fast das gesamte Vermögen des Erblassers ausmacht. Jedoch kommt in
solchen Fällen entgegen der Regel des § 2087 Abs. 2 BGB die Auslegung als Erbeinsetzung
in Betracht. Allerdings rechtfertigt der Umstand, dass die zugewandten Gegenstände das
Vermögen des Erblassers erschöpfen, für sich allein noch nicht die Annahme einer
Erbeinsetzung, sondern ist nur besonderer Anlass für die Prüfung, ob entgegen § 2087
Abs. 2 BGB eine Erbeinsetzung vorliegt. Die Auslegung wird dabei zu fragen haben, ob die
Rechtsstellung des Bedachten nach dem Willen des Erblassers Merkmale aufweisen sollte,
die derjenigen eines Vermächtnisnehmers fremd, aber mit der Erbenstellung verbunden
sind (vgl. Staudinger-Otte, BGB (2019), § 2097 Rn. 19 mwN). Die Rechtsprechung hat in
zahlreichen Fällen die Zuwendung eines das wesentliche Vermögen des Erblassers
ausmachenden Gegenstandes als Alleinerbeinsetzung ausgelegt, so zum Beispiel wenn der
Erblasser jemandem „sein Haus“ zuwendet - gleichgültig ob unter der Bezeichnung „Erbe
„bzw. „Erbteil „oder „Vermächtnis“ - und daneben nur Sachen von unbedeutenden Wert,
etwa Hausrat und Kleidung, hinterlässt (vgl. Staudinger-Otte, a.a.O. Rn. 20 mwN).
Auszugehen ist insoweit von den Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der
Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und
den Wert der in diesen fallenden Gegenstände hat (vgl. Grüneberg-Weidlich, BGB,
81. Aufl., § 2087 Rn. 7 mwN).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist im vorliegenden Fall nicht davon
auszugehen, dass es sich bei dem Hausgrundstück um praktisch das gesamte Vermögen der
Eheleute M. gehandelt hat. Das Amtsgericht hat insoweit die Beweis- bzw. Feststellungslast
verkannt. Wer entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB die Rechtsstellung
eines Erben beansprucht, muss im einzelnen darlegen und beweisen, dass der zugewandte
Gegenstand praktisch das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht hat
(Baumgärtel/Laumen/Prütting-Schmitz, Handbuch der Beweislast, 4. Aufl., § 2087 Rn. 2;
Kroiß/Ann/Mayer-Krafka, BGB Erbrecht, 5. Aufl., § 2087 Rn. 14). Gelingt der Nachweis,
ist dies ein starkes Indiz dafür, dass der Erblasser dem Bedachten Rechte einräumen wollte,
die nur einem Erben zukommen. Das Indiz ist entkräftet, wenn sich aus dem weiteren
Inhalt der Verfügung ergibt, dass der Bedachte nicht die Nachlassverbindlichkeiten zu
tilgen, nicht den Nachlass zu regeln und auch nicht die Beerdigungskosten oder die
Grabpflege zu übernehmen hat (vgl. Baumgärtel/Laumen/Prütting-Schmitz, a.a.O. Rn 3
mwN).

Hier lässt sich trotz Ausschöpfung aller vorhandenen Beweismittel nicht mehr ermitteln, ob
die Eheleute M. bei Testamentserrichtung neben dem Hausgrundstück nur unwesentliches
Sparvermögen und einfachen Schmuck besaßen (so der Antragsteller). Dies geht zu Lasten
des Antragstellers, die Antragsgegnerin musste hierzu weder substantiiert vortragen noch
Beweis führen. Auch aus dem Testament selbst lässt sich nicht ableiten, ob das neben dem
Hausgrundstück ausdrücklich erwähnte übrige Eigentum (Hausrat, Sparguthaben, Schmuck
usw.) nur einen geringen Wert hatte. Im Gegenteil spricht das ausdrücklich erwähnte übrige
Eigentum (Hausrat, Sparguthaben, Schmuck usw.) eher dafür, dass es insoweit nach den
Vorstellungen der Testierenden durchaus von Wert war bzw. zukünftig sein werde und es
demzufolge einer ausdrücklichen Festlegung durch den Längstlebenden bedurfte. Das für
die Sanierung des Wohnhauses verwendete Bargeld in Höhe von 62.709,22 DM kann
sowohl vor der „Wende“ von den Eheleuten M. erwirtschaftet worden sein als auch danach.
Dies lässt sich aufgrund fehlender Kontounterlagen und Gehaltsnachweise nicht mehr
ermitteln, obwohl es eher plausibel erscheint, dass es sich überwiegend um ältere
Ersparnisse statt um Einkünfte nach der Währungsumstellung handelte, weil der Zeitraum
zwischen Währungsumstellung und Haussanierung recht kurz war. Auch die fehlende
Inanspruchnahme der Beteiligten durch die Eheleute M. zum privilegierten Umtausch von
Mark/DDR in DM zum Kurs von 1:1 spricht nicht zwingend dagegen, dass es sich
überwiegend um ältere Ersparnisse gehandelt haben wird, denn hierfür kann es
mannigfaltige Gründe gegeben haben. Schlussendlich kann auch nicht widerlegt werden,
dass die Vorstellung der Eheleute M. bei Testamentserrichtung dahingehend gegangen ist,
dass schon allein ihr Pkw Wartburg mehr wert war als das Hausgrundstück; allein dies
verbietet eine Einordnung des Hausgrundstücks als wesentlicher Vermögenswert. Nach
allem ist die Vermutung des § 2087 Abs. 2 BGB hier jedenfalls nicht widerlegt.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG. Der Antragsteller trägt die
Gerichtskosten des Erbscheinsverfahrens beider Instanzen. Angesichts des
unterschiedlichen Auslegungsergebnisses in beiden Instanzen tragen die Beteiligten ihre
Rechtsanwaltskosten nach billigem Ermessen jeweils selbst (vgl. Horn/Kroiß, ZEV 2012,
664).

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich gemäß §§ 40, 61 FamFG aus dem
Wert des Nachlasses, wobei vom Grundstückswert i.H.v. 200.000,- € die
Sicherungshypothek i.H.v. 25.000,- € abzuziehen ist.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Rostock

Erscheinungsdatum:

08.02.2022

Aktenzeichen:

3 W 143/20

Rechtsgebiete:

Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB § 2087 Abs. 2